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STAMMLER schreibt: „Objekt der Sozialphilosophie ist die Gesetz-
mässigkeit des sozialen Liebens als solche. — Gegenstand der allgemeinen
Rechtslehre ist gesetzmässige Erfassung von übereinstimmendem Inhalte
verschiedener Rechtsordnung (S. 14). So widersprechen sie sich keineswegs.
Sie bilden im Gegenteile eine harmonische Ergänzung.“
Ganz dasselbe sagt CarL MensER!, indem er diese Ergänzung
von vornherein sucht: „Der Weg, um zum theoretischen Verständnisse
jenes organischen Prozesses zu gelangen, welchem das Recht seinen ersten
Ursprung verdankt, kann somit kein anderer sein, als dass wir untersuchen,
welche Tendenzen der allgemeinen Menschennatur und welche äusseren
Verhältnisse zu jener allen Völkern gemeinsamen Erscheinung zu führen
geeignet sind, welche wir das Recht nennen, wie das Recht aus diesen all-
gemeinen Tendenzen und Verhältnissen zu entstehen und nach Massgabe
der Verschiedenheit derselben seine besonderen Erscheinungsformen zu
gewinnen vermochte.“
In den Kampf, welchen die exakte Schule der Sozialwissenschaften
wider den Historismus und die materialistische Geschichtsauffassung er-
öffnet hat, ist somit STAMMLER auf einem anderen Wege erfolgreich ein-
getreten.
Auch ich kann STAMMLERS Arbeit nur als einen willkommenen Bundes-
genossen und sein Werk als eine Ergänzung meines Buches „Das Recht der
Wirtschaft“? begrüssen.
Trotzdem, dass STAMMLER die „angebliche Wechselwirkung von Recht
und Wirtschaft“ auf den ersten Blick zu bestreiten scheint, führt er doch
den tiefen Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Recht sehr meister-
haft in dem Kapitel „Verautwortlichkeit des Rechtes für die sozialen Phäno-
mene“ aus. Auch die Unterscheidung zwischen ideellem (Natur-) Rechte und
Gewohnheits- und positivem Rechte ist dem Verf. der Idee nach nicht fremd,
und wenn er ein „Naturrecht mit wechselndem Inhalte“ (S. 185) an-
erkennt, so meint er nichts anderes, als was von mir gesagt ist’. „Denn
das Dasein sowohl, als auch der Inhalt des ideellen Rechtes ist auf jeder
Entwickelungsstufe der Menschheit und in jeder Gesellschaftsform
ein Gegebenes, Unverrückbares, es entwickelt sich mit der organi-
schen Ausgestaltung der verschiedenen Sozialerscheinungen, es
entspricht der Wahrheit ihres Daseins, ihrer Wesenheit, ja selbst ihrer Form.
Da es nun aber nur eine Wahrheit giebt, so kann es auch jeweilig nur
ein echtes Recht geben, und wenn die Sitten oder die Gesetze sich mit
! Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften. Leipzig
1883. Verlag von Duncker & Humblot.
2 Leipzig 1896. Verlag von Friedrich Fleischer.
3 Das Recht der Wirtschaft, S.3; dann: Das Recht in der geschlecht-
lichen Ordnung. 2. Aufl. (Leipzig 1896.) 8. 5—13.