— 300 —
diesem Rechte nicht decken, so müssen sie notwendig der Lüge ensprungen
und Unrecht sein.“
Gleich der exakten Schule der Sozialwissenschaften preist auch STAmM-
LER die Kausalität und die materialistische Forschung nicht als den allein
richtigen Weg für die Erkenntnis sozialer Probleme. Er anerkennt vielmehr
die Berechtigung teleologischer Erwägungen in den Sozialwissenschaften. —
„Die Thatsache, dass der Wille als Vorstellung eines zu bewirkenden Er-
folges unaufhörlich auftritt und sich zeigt, kann nicht bestritten werden“
(S. 357). — Doch verfolgt STAMMLER den scheinbaren Widerspruch von
Telos und Kausalität nicht bis zu der Auslösung desselben, bis zu der
Erkenntnis, dass die Idee durch die Kausalität den Beweis ihrer Wahrheit
findet.
Endlich wendet sich STAMMLER gegen die Teleologie in der mate-
rialistischen Geschichtsauffassung mit Glück und Fug; denn die
blosse Zweckrichtung, welche aus der Materie ihre Nahrung schöpft, die
Zweckrichtung gesellschaftlich-genossenschaftlicher Produktion,
kann nicht verwechselt werden mit der idealen, teleologischen Forschung.
Auch die exakte Schule der Sozialwissenschaften steht rücksichtlich der Idee
auf dem Boden teleologischer Erwägungen, rücksichtlich der Materie dagegen
auf dem des Kausalitätsgesetzes; sie zieht das letztere zum Beweise der
ersteren heran.
Nicht mit der Absicht wohl, die exakte Forschung auf dem Gebiete der
Sozialerscheinungen zu unterstützen, hat STAMMLER sein umfangreiches und
treffliches Buch geschrieben, und doch ist es, wie kaum ein zweites, geeignet,
die Bestrebungen dieser Schule auch auf praktischem Gebiete zu fördern
und ihre speziellen Resultate, namentlich die Erkenntnisse über das Recht,
das Eigentum, den Unternehmergewinn, durch gross angelegte
Gesichtspunkte zu unterstützen, oder wenigstens diese Unterstützung an-
zuregen.
So ist namentlich der Standpunkt des Verf., von welchem er die Zweck-
richtung der sog. Sozialisten, die gesellschaftlich-genossenschaftliche Produk-
tion, bekämpft, abermals ganz derselbe, wie ihn die exakte Schule der Sozial-
"wissenschaften einnimmt. Nur ist der Weg zu der Erkenntnis ein anderer.
Die letztere lehrt, dass das Eigentum eine unreflektierte Erscheinung
historischer und organischer Sozialentwickelung sei, und der exakte Satz,
dass das Eigentum sich überall mit Notwendigkeit einfinden muss, wo ein
bestimmtes Gut nicht in solcher Menge verfügbar ist, dass die ganze Be-
völkerung ihre betreffenden Bedürfnisse in vollkommener Weise zu befriedigen
vermag, führt gerade so zur Ablehnung der zwangsweisen gesellschaft-
lichen Produktion, wie die Philosophie STAMmLERs, welche den aus-
einanderstrebenden Zielen und Sonderwünschen der sozialistischen Parteien
* Vgl. Die Politische Oekonomie. 3. Aufl. (Leipzig 1897.) S. 60 u. ff.