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Gerechtfertigt ist die Strafe durch die kulturelle Mission der Gesellschaft.
Die Vergeltung ist der Kern der Generalprävention und als solcher Straf-
zweck. Sie beruht auf dem Werthurtheil über unsere Mitmenschen, dem-
gemäss Eingriffe in fremde Rechtssphären die Reaction des Verletzten her-
vorıufen. In gleicher Weise erwarten wir von dem Staat eine solche Re-
action gegen denjenigen, der in seine Rechtsordnung eingreift. Während
Rache und Vergeltung im Kanrt'schen Sinne besteht in dem Verhältniss
zwischen Verletzten und Verletzer, liegt der vergeltende Charakter der
Strafe nach dem Verfasser in ihrer Einwirkung auf den Dritten. „Vergeltung
ist zwangsweise Reaction gegen eine Kränkung mit Rücksicht auf die Em-
pfindung dritter.“ Diermit hat der Verfasser einen Vergeltungsbegriff con-
struirt, der der herrschenden Volksanschauung gerecht wird, und indem er
ein festes Prinzip für allgemeingiltige Strafsätze abgiebt, die Verflüchtigung
des Strafrechts in polizeiliche Sicherungsmaassregeln verhindert. Denn nun
gilt es: Nicht der Verbrecher ist der Gegenstand der Strafverfolgung, son-
dern die verbrecherische That. Desshalb muss die gleiche That auch gleich
gestraft werden.
Gegenüber der neueren, die Spezialprävention als den entscheidenden
Strafzweck anerkennenden Richtung beweist der Verfasser an einem Ueber-
blick über die Entwickelung des Strafrechts in den westeuropäischen Staaten,
dass dem willkürlichen Vorgehen der Staatsgewalten gegen die Verbrecher,
den auf ihre Unschädlichmachung und die Sicherung der Gesellschaft vor
hnen gerichteten Maassregeln gegenüber überall und gerade in den geord-
neten Zeiten der Grundsatz sich durchgerungen hat, es müsse die That
ohne Rücksicht auf die persönlichen Eigenschaften des Thäters nach gleichen
Grundsätzen gestraft werden.
Somit kann die Strafrechtspflege ihrem Zwecke nur gerecht werden,
wenn alle Sicherungsmaassregeln der Verwaltung überwiesen werden und der
Strafrechtspflege die einzige Aufgabe verbleibt, den Eingriff in die Rechts-
ordnung nach dem Grundsatze vergeltender Gerechtigkeit zu ahnden.
Bozi.
Joel Prentiss Bishop, New Commentaries on Marriage, Divorce
and Separation. A new System of legal Exposition. Two
Volumes. Chicago, T. H. Flood and Company.
Es dürfte kaum auf ernstlichen Widerspruch stossen, wenn wir auf
Grund langjähriger Beobachtung den Ausspruch wagen, dass das rechtswissen-
schaftliche Fachinteresse in Deutschland für Englands und Amerikas Recht
und Judikatur weit weniger wach erhalten wird, als für die Ansätze des
rechtlichen Lebens bei weit abseits gelegenen Völkerstämmen in fremden
Welttheilen. Der Urwald des ethnologisch-juristischen Materials wird von
furchtlosen Forschern durchquert und die afrikanische Jurisprudenz harrt der