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wie das Strafrecht befassen sich mit dem Verhalten der Ein-
zelnen, mit dem Verhalten der Behörden im Falle der Rechts-
verletzung und Klage'!. Solange keine strafrechtliche Verletzung
stattfindet, wird das vom Gesetzgeber als positiv erklärte Recht
vom Publikum auch angewendet. So kann es kommen, dass z. B.
ganze Parthieen des Strafgesetzes von den Bürgern jahrelang strenge
beobachtet werden. Nehmen wir z. B. an, es finde während
längerer Zeit nach dem Inkrafttreten eines Strafgesetzbuches kein
Mord statt; hier wird das vom Gesetzgeber vorgesehene Verhalten
der Bürger erfüllt, während das für die Behörden vorgesehene
entsprechende Verhalten nicht eintritt, weil der vorausgesetzte
Thatbestand fehlt. Beim Privatrecht kann es vorkommen, dass
eine Anzahl von Rechtssätzen deshalb nicht zur Nachachtung
durch das Publikum und der Behörden gelangen, weil die voraus-
gesetzten Thatbestände nicht eintreten, so werden die Bestim-
mungen über den Fund solange nicht beobachtet, als nichts ver-
loren und nichts gefunden wird; so können auch vorgesehene
seltenere Fälle des Erbrechts gar nie eintreten. Die Positivität
des Privatrechts und des Strafrechts beginnt aber nicht erst mit
der Anwendung und Befolgung der Rechtssätze durch das Publi-
kum oder der Behörden, sondern bereits in dem Momente, wo
für die letzteren die Pflicht zur Anwendung entsteht. Mit diesem
11 Statt der doppelten Fassung der Rechtssätze, eine berechnet für das
Publikum und eine für die Behörden, wählt der Gesetzgeber der Einfachheit
wegen nur eine und es muss dann die andere daraus geschlossen werden.
Der Privatrechtssatz: wer gutgläubig erwirbt, wird Eigenthümer, ist für das
Publikum gefasst; für den Richter hätte der Satz etwa die Fassung zu er-
halten: wenn der Besitzer die Sache gutgläubig erworben hat, so ist der
frühere Eigenthümer mit seiner Klage auf Herausgabe abzuweisen. Der
Strafrechtssatz: wer eine anvertraute Sache in eigenem Nutzen verwendet,
wird wegen Unterschlagung mit Gefängniss bestraft, hat hinwieder eine Fas-
sung, die sich mehr an den Richter wendet. Für das Publikum könnte der
Satz lauten: wem etwas anvertraut worden ist, soll es jederzeit dem Eigen-
thümer in Bereitschaft halten, ansonst er sich einer strafbaren Handlung
schuldig macht.