—_ 4A —
und man betrachtet auch hergebrachtermassen und überall den
Verkehr der Staaten untereinander als unter Rechtsregeln stehend.
Der grundlegende und hauptsächlichste Rechtssatz des Völker-
rechts geht dahin, dass das, was sich die Staaten gegenseitig ver-
sprechen, für den einzelnen Staat verbindlich sei. Man stellt
allgemein die Verbindlichkeit von Staatsverträgen auf; diese Ver-
bindlichkeit entspringt aber nicht dem Rechte des einzelnen con-
trahirenden Staates, sondern dem über die Staaten geltenden
Rechtssatze, dass die Staaten an die von ihnen abgeschlossenen
Verträge gebunden seien. Würde die Vertragsverbindlichkeit bloss
aus dem speciellen staatlichen Rechte fliessen, so könnte ja ein
Contrahent einfach sein Recht ändern und die Verbindlichkeit auf-
heben, was doch nicht die Meinung des Völkerverkehres ist. Das
Völkerrecht entbehrt aber auch nicht der Positivität. Allerdings
giebt es keine Behörde über die Staaten, aber es giebt eine
Autorität über dieselben, welcher die ähnliche Function zukommt,
wie dem Willen des Gesetzgebers im Staate. Diese Autorität
ist der humane und sittliche Wille, das Rechtsbewusstsein der
Culturbevölkerung, eine Autorität, die ihren Ausdruck darin zu
finden weiss, dass sie die führenden Mächte zu einem Proteste
und zu einer Reaction gegen die Verletzung des Völkerrechts zu
veranlassen vermag. Darin zeigt auch das Völkerrecht den
Character des Rechts überhaupt, dass bei Rechtsverletzungen ein
Einschreiten gesellschaftlicher Machtorgane vorausgesetzt wird.
Wenn auch diese Reaction nicht in der genauen und sicheren
Weise vorgesehen ist, wie beim staatlichen Rechte, so ist die
Vorstellung doch ein allgemeine, dass bei Völkerrechtsverletzungen
sich eine machtvolle Gegenströmung erheben wird. Bei der Frage,
welche Rechtssätze für die internationalen Verhältnisse gelten
sollen, wird man auf den muthmasslichen Willen der Cultur-
staaten, als einheitliche Macht gedacht, abstellen müssen. Ge-
bräuche und Gewohnheiten der Völker untereinander, wie sie sich
aus einem langandauernden Verkehr ergeben haben, wird man