Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zwölfter Band. (12)

—_ 4A — 
und man betrachtet auch hergebrachtermassen und überall den 
Verkehr der Staaten untereinander als unter Rechtsregeln stehend. 
Der grundlegende und hauptsächlichste Rechtssatz des Völker- 
rechts geht dahin, dass das, was sich die Staaten gegenseitig ver- 
sprechen, für den einzelnen Staat verbindlich sei. Man stellt 
allgemein die Verbindlichkeit von Staatsverträgen auf; diese Ver- 
bindlichkeit entspringt aber nicht dem Rechte des einzelnen con- 
trahirenden Staates, sondern dem über die Staaten geltenden 
Rechtssatze, dass die Staaten an die von ihnen abgeschlossenen 
Verträge gebunden seien. Würde die Vertragsverbindlichkeit bloss 
aus dem speciellen staatlichen Rechte fliessen, so könnte ja ein 
Contrahent einfach sein Recht ändern und die Verbindlichkeit auf- 
heben, was doch nicht die Meinung des Völkerverkehres ist. Das 
Völkerrecht entbehrt aber auch nicht der Positivität. Allerdings 
giebt es keine Behörde über die Staaten, aber es giebt eine 
Autorität über dieselben, welcher die ähnliche Function zukommt, 
wie dem Willen des Gesetzgebers im Staate. Diese Autorität 
ist der humane und sittliche Wille, das Rechtsbewusstsein der 
Culturbevölkerung, eine Autorität, die ihren Ausdruck darin zu 
finden weiss, dass sie die führenden Mächte zu einem Proteste 
und zu einer Reaction gegen die Verletzung des Völkerrechts zu 
veranlassen vermag. Darin zeigt auch das Völkerrecht den 
Character des Rechts überhaupt, dass bei Rechtsverletzungen ein 
Einschreiten gesellschaftlicher Machtorgane vorausgesetzt wird. 
Wenn auch diese Reaction nicht in der genauen und sicheren 
Weise vorgesehen ist, wie beim staatlichen Rechte, so ist die 
Vorstellung doch ein allgemeine, dass bei Völkerrechtsverletzungen 
sich eine machtvolle Gegenströmung erheben wird. Bei der Frage, 
welche Rechtssätze für die internationalen Verhältnisse gelten 
sollen, wird man auf den muthmasslichen Willen der Cultur- 
staaten, als einheitliche Macht gedacht, abstellen müssen. Ge- 
bräuche und Gewohnheiten der Völker untereinander, wie sie sich 
aus einem langandauernden Verkehr ergeben haben, wird man
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.