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„actes de gouvernement“ im Sinne des französischen Staats-
rechts aufzufassen: „Nach dem französischen ungeschriebenen
Staatsrecht, wie solches in Elsass Lothringen weiter Geltung hat,
ist Rechtens, dass die Regierung befugt ist, Massregeln der so-
genannten hohen Polizei — mesures de haute police — zu er-
greifen, ohne irgend welche Rechenschaft abzulegen, sei es vor
dem Staatsrath oder den Gerichten. Das ist eine durch unendlich
viele Entscheidungen des französischen Staatsraths feststehende
Regel. Man unterscheidet mit der grössten Bestimmtheit — und das
gilt alles für uns in Elsass-Lothringen auch — die actes de gou-
vernement, die Regierungshandlungen, von den Verwaltungshand-
lungen, actes d’administration. Alle Verwaltungsakte unterliegen
der Anfechtung, allein Regierungsmassregeln als Massregeln der
hohen Polizei unterliegen ihr nicht, und es ist zweifellos, dass
insbesondere Massregeln der Regierung, welche die Sicherheit
des Staats im Auge haben, unanfechtbar sind und jeder Zeit
getroffen werden können.
Was thut nun also $ 10 des Gesetzes von 1871? 810 ko-
difizirt dieses bereits vorhandene, aber ungeschriebene Recht; er
kodifizirt mit einigen Modifikationen, aber er fügt Beschränkungen
hinzu, indem er die Ausübung des Rechts ausschliesslich und
allein in die Hand des Oberpräsidenten legt“ ®°.
Die Lehre von der schrankenlosen Gewalt des Oberpräsi-
denten hat ferner auch in der Litteratur ihre Vertreter gefunden:
OTTO MAYER hat in seiner „Theorie des französischen Ver-
waltungsrechts“ Folgendes ausgeführt: „Nach der durch die
Praxis festgestellten Auslegung ist der Oberpräsident förmlich
befugt, frei von aller Rücksicht auf verfassungsmässige
Vorbehalte des Gesetzes, wie auch auf bestehende
Reichs- und Landesgesetze mit den Massregeln vorzugehen,
die er für erforderlich erachtet. Ausweisung der eigenen Landes-
25 Reichstagsverhandlungen vom 80. Jan. 1895 (Sten. Ber. 8. 602).