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angehörigen, Unterdrückung gesetzlich erlaubter Zeitungen, Ver-
eine und Versammlungen kann er mit äusserlicher Gewalt durch-
führen und Widerstand ist strafbar. Der Name Diktaturparagraph
ist aber unrichtig; man versteht unter Diktatur die unausge-
schiedene Vereinigung von gesetzgebender und vollziehender Ge-
walt in einer Hand, wie sie vorübergehend vorkommt. Es können
aber mit dem 8 10 keine Gesetze gemacht werden; die Mass-
regeln, die er erlaubt, stehen ganz ausserhalb der Gesetze...
sie haben überhaupt keine Rechtswirkungen, sind rein thatsäch-
liche Gewalt“ ?®,
In einem Aufsatze von IsEMAnn: „Ist die Zuwiderhandlung
gegen einen auf Grund des & 10 des Gesetzes vom 30. Dez. 1871
ergangenen Ausweisungsbefehl strafbar?“ wird ebenfalls die An-
sicht vertheidigt, dass & 10 dem Öberpräsidenten eine unbe-
schränkte Gewalt übertrage. Der leitende Gedanke dieses
Paragraphen müsse in seinem ersten und allgemeinen Satze ge-
sucht werden; eine rechtliche Grenze finde sich aber hier nicht.
„Dem Unbestimmten und Unbekannten, das in der Zukunft lag,
sollte durch eine ebenso unbestimmt und unbegrenzt ge-
lassene Macht rechtzeitig und mit Aussicht auf Erfolg be-
gegnet werden können“ ?”,
Leonı hat in seinem „Verfassungsrecht von Elsass-Lothrin-
gen“ seine frühere Ansicht, der Statthalter könne nichts anordnen,
was der Reichsgesetzgebung zuwiderlaufe, wieder aufgegeben. „Diese
früher von mir vertretene Auffassung ist indessen nicht einwands-
frei. Was der ausdehnenden Auslegung des 8 10 bis zum Gesetz
vom 4. Juli 1879 im Wege stand, war nicht etwa eine aus-
drücklich verbietende reichsrechtliche Vorschrift, sondern die höhere
formale Kraft des Reichsgesetzes, welche landesgesetzliche Aus-
nahmen von dem Reichsrecht nicht gestattet. Diese formale
2° Orro Mayer: „Theorie des französischen Verwaltungsrechts*, S.10—11,
Anm. 6. Strassburg 1886,
27 Juristische Zeitschrift für Elsass-Lothringen, Bd. XI, S. 186 ff.