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beschränkt war. Wenn aber der Kaiser nur ein zeitlich begrenztes
Gesetzgebungsrecht hatte, so konnte er dieses Gesetzgebungsrecht
auch nur für die Dauer seiner eigenen Berechtigung delegiren,
denn „nemo plus juris in alium transferre potest quam ipse
habet“. Falls also der Oberpräsident jemals die Befugniss gehabt
haben sollte, bestehende Gesetze zu suspendiren, aufzuheben oder
abzuändern, sowie neue Gesetze einzuführen, so wäre diese Be-
fugniss bereits am 31. Dez. 1873 erloschen. Dazu kommt, dass
die Massregeln, welche in Suspension, Aufhebung, Aenderung
von bestehenden Gesetzen oder in Einführung von neuen Ge-
setzen bestanden, in dem Gesetzblatt für Elsass-Lothringen hätten
verkündet werden müssen*? und dass von den Massregeln, welche
der Oberpräsident und der Statthalter auf Grund des Diktatur-
paragraphen getroffen haben, keine einzige in dem fraglichen Ge-
setzblatt verkündet worden ist.
& 3 des Gesetzes vom 9. Juni 1871 hat dem Kaiser nicht
blos ein zeitlich begrenztes, sondern auch ein sachlich be-
schränktes Gesetzgebungsrecht delegirt. Kaiser und Bundes-
rath konnten auf Grund des $ 3 des genannten Gesetzes in
Elsass-Lothringen kein Gesetz erlassen, das eine finanzielle Be-
lastung des Reichs zur Folge hatte. Folglich konnten auch Kaiser
und Bundesrath dem Oberpräsidenten nicht die Befugniss dele-
giren, Massregeln zu treffen, welche das Reich finanziell be-
lasteten; folglich findet die angeblich schrankenlose Gewalt des
Öberpräsidenten an dem Recht des Reichstags, bei finanzieller
Belastung des Reiches mitzuwirken, ihre Schranke.
VII.
Zum Begriff eines jeden Gesetzes im materiellen Sinne ge-
hört nicht blos die Aufstellung eines Rechtssatzes, sondern auch
die Ausstattung dieses Rechtssatzes mit verbindlicher Kraft, mit
4 8 ] des els.-lothr. Gesetzes vom 3. Juli 1871,