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Reiches durch seine Aufgaben nicht aufgebraucht wurden, sollten sie nicht
zur Verfügung des Reiches bleiben, sondern den Einzelstaaten zu gute kom-
men; es wurde also die Ausstattung des Reiches mit Geldmitteln für die
allgemeinen nationalen Interessen hinter die Dotierung der Landeskassen zur
Förderung partikulärer Landesinteressen oder zur Herabsetzung der landes-
gesetzlichen Abgaben zurückgesetzt. Der dritte Zweck bestand in der Ver-
stärkung der Macht des Reichstags. Die Zölle werden dauernd bewilligt
und würden der Reichsregierung Mittel einbringen, ohne dass der Reichstag
dies hindern konnte; die Bewilligung der Matrikularbeiträge gilt nur für ein
Jahr. Wurden daher die Erträgnisse der Zölle und Abgaben teilweise den
Einzelstaaten zugewiesen, so musste die Reichsregierung trotz ihrer Erhöhung
doch alljährlich beim Reichstag um Bewilligung von Matrikularbeiträgen peti-
tionieren; die Reichstagsmajorität hat es so in der Hand, wie viel sie ge-
währen will und unter welchen Bedingungen. Freilich vermag auch LABAnn
nur zu konstatieren, dass diese Zwecke nicht voll erreicht wurden, die
FRANKENSTEIsche Klausel, wie er sagt, im Laufe der Zeit in der allgemeinen
Wertschätzung erheblich sank, eine Thatsache, die bekanntlich unterdessen
die Anerkennung ihrer Urheber selbst fand.
Am Schlusse weist LABanD noch auf die hauptsächlichsten Lücken der
Reichsverfassung hin, als welche er neben der unterdessen geschehenen Kodi-
fikation des bürgerlichen Rechtes vor allem das Fehlen eines Ministerverant-
wortlichkeitsgesetzes, einer Ordnung des Etatsrechtes und der Rechnungs-
kontrolle und eines Reichseisenbahngesetzes nennt (8. 37).
Die Festrede Zorns nimmt als Grundgedanken die Bekämpfung des
Satzes, die verbündeten Regierungen seien rechtlich imstande, durch einen
neuen Vertrag an die Stelle der dermalen geltenden Reichsverfassung eine
neue mit voller Rechtskraft zu setzen, ohne dass Bundesrat und Reichstag
hierbei zur Mitwirkung berufen werden müssten (S.3). Das ausschlaggebende
und seiner Meinung nach unwiderlegbare Argument hiegegen ist dem Verfasser
Art. 78 Abs. 1. Dieser verleihe dem Reiche das oberste und entscheidende
Kriterium eines Staates, einen von keiner irdischen Macht rechtlich abhän-
gigen Willen. Also sei die Verfassung kein Vertrag, sondern ein Gesetz und
zwar vom ersten Tage ihres Bestehens an. Wir sehen, es sind die gleichen
Beweisführungen, wie in des Verfassers Staatsrecht des Deutschen Reiches.
Wenn der Verfasser dabei meint, über den Satz, dass die Entstehung des
Staates eine der juristischen Konstruktion unzugängliche Thatsache sei, be-
stehe in der Wissenschaft jetzt Einigkeit, so dürfte dem doch nicht zuzu-
stimmen sein. Neben Anderen vertritt kein Geringerer als GEor@a MEYER
heute noch die Anschauung, dass die Gründung des norddeutschen Bundes
und des Deutschen Reiches durch völkerrechtlichen Vertrag erfolgte.
Erlangen. Rehm,