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kennenden, Annehmlichkeit und Nutzen und Pflicht abwägenden und fühlen-
den Ich. Nur die Abstraktion kann das Wollen vom Vorstellen und Fühlen
abtrennen. Betrachten wir den in dieser Weise abgetrennten für sich allein
gedachten Willen, so kann dieser Wille absolut nichts wollen; er ist tot
und ohne jede Fähigkeit sich zu einer Handlung zu entscheiden. — Es kommt
an dieser Stelle, wo es gilt, die sog. Willensfreiheit vom Standpunkte der
Begriffe der Nothwendigkeit und Möglichkeit aus zu beurtheilen, nur darauf
an, dass wir das Wesen der Willensfreiheit in dem Bewusstsein finden, dass
die Entscheidung aus der Tiefe des eigenen Ich stammt, in welcher das
vorstellende, fühlende und wollende Ich eben vollständig identisch, ganz
ein und dasselbe Ich sind, und dass andrerseits die Abstraktion von diesem
Thatbestand, welche den Begriff des Wollens für sich allein in dem Worte
Willen verselbständigt, jeden Antrieb und jede Möglichkeit einer Entschei-
dung auslässt etc.“
Verf. erklärt sich gegen das liberum arbitrium indifferentiae und für
den Determinismus, und zwar aus lauter Gründen, welche ich auch angeführt
habe. Aber damit will ich seine Ausführungen keineswegs als überflüssig
bezeichnet haben, denn unermüdlich und mit grossem Scharfsinn geht er
auf das einzelne ein und widerlegt die unzähligen auf reinem Missverstand
beruhenden Einwände gegen den Determinismus. Den eigentlichen tieflie-
genden Grund der Abneigung vieler gegen die deterministische Lehre hat
er nicht richtig erfasst. Er liegt darin, dass diese uns doch zuletzt vor
blossen Thatsachen stehen bleiben lässt, den angeborenen Anlagen, den
Schicksalen, von welchen die Entwicklung des Charakters abhängt, und den
unzähligen Zufällen, welche im gegebenen Augenblick den Vorstellungsver-
lauf und die Stimmung beeinflussen. Aber nach der ganzen Art seines
Denkens ist anzunehmen, dass er, hierauf aufmerksam gemacht, mit mir ant-
worten würde, 1. dass Ethik und Rechtsphilosophie, speziell Straftheorie nicht
beanspruchen, eine metaphysische Gesammtauffassung der Welt und des
Lebens zu geben, und 2. dass die Ursachelosigkeit der Willensentscheidun-
gen und der leere Freiheitsbegriff mit seinen Widersprüchen und seiner Un-
durchführbarkeit das metaphysische Bedürfniss, welches der Determinismus
nicht befriedigt, erst wohl recht nicht befriedigen kann. 8. „Grundzüge der
Ethik* 8. 90ff.
Auch die Erklärung des Scheines der Freiheit, welcher sich jeder be-
wusst werde, ist ihm nicht gelungen. Wenn ihn nicht irgendwer oder -was
verhindert hätte, von meinen Arbeiten Kenntniss zu nehmen, so würde er
die verschiedenen Sinne und Bedeutungen des Könnens und Möglichseins
kennen und demnach wissen, dass das Bewusstsein, immer auch anderes
wollen gekonnt zu haben nur die Möglichkeit des abstrakt Allgemeinen ist,
dass der Begriff meines Wollens sich mit jedem sozusagen Wollbaren ver-
trägt. Nur die Kenntniss jener verschiedenen Relationen, in welchen Kön-
nen und Möglichsein ausgesagt wird, kann zur definitiven Ueberwindung
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