Full text: Archiv für öffentliches Recht.Dreizehnter Band. (13)

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man jenen Satz umstösst, welcher Jahrhunderte lang dem Be- 
wohner dieses Landes eine weitreichende Garantie gewährte, näm- 
lich den Satz, dass die Anklage, ohne auf den Angeklagten zu- 
rückgreifen zu können, die zur Last gelegte strafbare Handlung 
beweisen muss, und dass, falls Zweifel verbleiben, Freisprechung 
zu erfolgen hat. Angenommen, dass der Richter beim Kreuz- 
verhör den Angeklagten in Schutz nehmen wird, wie steht es in 
den Fällen, in welchen bereits der Polizeirichter entscheidet? Die 
vor ihm auftretenden Vertreter der Anklage sind weit weniger 
von idealen Gedanken beseelt. Hinzukommt, dass jeder Polizei- 
richter seine eigenen Ideen über das Kreuzverhör und dessen zu- 
lässige Ausdehnung besitzt. Die bei unseren höheren Gerichten 
thätigen Advokaten werden mit Entsetzen vor der Zumutung zu- 
rückschrecken, ihre Geschicklichkeit im Kreuzverhören an einem 
Angeklagten auszuüben, welchem ein Kapitalverbrechen zur Last 
gelegt ist. Unser Strafverfahren würde verächtlich werden, und 
das Land würde bei derartigen Vorkommnissen revoltieren. Zu 
beachten ist ferner, dass ein Angeklagter, welcher sich dem Kreuz- 
verhör unterwirft, auch vom Richter selbst befragt werden kann. 
Es ist aber bekannt, dass der Richter, welcher schliesslich auch 
nur ein Mensch ist, sich häufig bereits vor Abschluss der Beweis- 
aufnahme eine bestimmte Meinung bildet, und dass vom Richter 
gestellte Fragen die Geschworenen eigentlich immer beeinflussen. 
Wann nun der Richter auch dem Angeklagten selbst Fragen vor- 
legen darf, so sind wir praktisch bei dem hier zu Lande ver- 
hassten französischen System angelangt. Es mag sein, dass in 
vereinzelten Fällen ein Justizirrtum vorgekommen ist, weil der 
Angeklagte selbst nicht als Zeuge vernommen werden Konnte. 
Die Zahl dieser Fälle wird sich jedenfalls bedeutend vermehren, 
wenn man den Angeklagten dem Kreuzverhör unterwirft. Was 
sodann die Bestimmung betrifft, wonach eine Zeugenaussage des 
Ehegatten erzwingbar sein soll, so steht nicht zu erwarten, dass 
eine Ehefrau gegen ihren Ehemann aussagen wird, und es ist
	        
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