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nicht daran zu denken, dass gegen dieselbe eine Verurteilung
wegen Meineids erzielt werden kann. Es ist weit besser hie und
da einen schuldigen Angeklagten entschlüpfen zu lassen, als den
Ehegatten einer derartigen, nutzlosen Tortur zu unterwerfen.
Letzteres ist in diesem Hause bisher nicht vorgeschlagen worden,
und es findet sich unter den Enquetekommissionen keine einzige,
welche eine derartige Neuerung empfohlen hat. Der Entwurf
wird das bestehende Recht, welches befriedigende Resultate er-
geben hat, nicht verbessern. Man verlangt nicht nach der Neue-
rung und man übersieht nicht, welche Folgen dieselbe haben
wird. Jedenfalls bedarf der Entwurf noch gründlicher, weiterer
Prüfung.“
Der nächstfolgende Abgeordnete sprach sich im allgemeinen
zu gunsten der Vorlage aus, nicht etwa, weil zur Zeit Unschul-
dige verurteilt und Schuldige freigesprochen würden, sondern weil
man sich nach einer Verbesserung des Strafverfahrens sehne und
die fakultative Zulassung des Angeklagten zur Aussage eine Ver-
besserung bedeute. Verwerflich sei allerdings die zwangsweise
Vernehmung des Ehegatten. Weder Advokaten noch Richter
würden einen Angeklagten verleiten, thatsächlich unrichtige An-
gaben zu machen. Sollte einmal zufolge Unwissenheit oder Be-
fangenheit ein Angeklagter thöricht aussagen, so würden die Ge-
schworenen sehr wohl einen derartigen Fall von dem Falle eines
die Wahrheit absichtlich entstellenden, schuldigen Angeklagten zu
unterscheiden wissen. Lieber solle man hie und da einen geschickt
aussagenden Schuldigen entschlüpfen lassen, als einem Unschul-
digen den Mund verschliessen und damit die Ergründung der
Wahrheit erschweren. Ein Polizeibeamter, welcher bei einer
Person gestohlenes Gut vorfinde, könne heute in der gericht-
lichen Verhandlung gefragt werden, was der Angeklagte bei
der Verhaftung geäussert habe; der Angeklagte selbst könne
indessen vor Gericht nichts darauf erwidern. Ebenso habe
bei einer Anklage wegen Verschaffiung von Waren durch falsche