Full text: Archiv für öffentliches Recht.Dreizehnter Band. (13)

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im Kreuzverhör unterliegen werde. Wenn das Gleiche im Straf- 
verfahren geschehe, lasse sich nichts dagegen einwenden. Die 
Vorlage sei ferner noch nicht deshalb zu verwerfen, weil es ex- 
treme Fälle gebe, in welchen Angeklagte, obschon unschuldig, 
so ungeschickt aussagten, dass sie ihr eigenes Interesse schädigten. 
Dass nach einer Reform im Sinne der Vorlage nicht besonders 
verlangt werde, sei nicht auffällig; es sei nicht ersichtlich, von 
welcher Seite ein derartiges Verlangen kommen solle. Jedenfalls 
hätten sich die meisten Richter und eine grosse Anzahl anderer 
Juristen für die Massregel erklärt, um ganz davon abzusehen, 
dass seit 1879 dem Parlament Entwürfe über die fragliche 
Materie vorgelegt worden seien. Es sei sehr leicht, extreme 
Fälle auszumalen; z. B. könne man an den ungebildeten, un- 
schuldigen Angeklagten erinnern, welcher keinen Verteidiger habe 
und mithin selbst die Belastungszeugen dem Kreuzverhör unter- 
werfen müsse. Mit dem Entwurfe werde jedenfalls ein Mangel 
des Strafprozesses fallen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb eine 
Person, welche angeblich eine gewaltthätige Handlung beging, 
wohl im Zivilverfahren, nicht aber im Strafverfahren aussagen 
könne. Die alte Doktrin habe im Straf- wie im Zivilverfahren 
den Angeklagten bezw. den Beklagten nicht als Zeugen zu- 
gelassen, weil man annahm, er werde doch nicht die Wahrheit 
sagen. Diese Doktrin sei seit langer Zeit verlassen worden und 
werde heute als eine barbarische bezeichnet. Man habe nämlich 
gefunden, dass Leute, welche ein grosses Interesse daran hatten, 
die Wahrheit zu verschweigen, dennoch die Wahrheit bekannten. 
Img Hinblick hierauf habe man im Strafprozess eine Ausnahme 
nach der anderen eingeführt, so dass es heute bereits viele Fälle 
gebe, in welchen der Angeklagte als sein eigener Entlastungs- 
zeuge auftrete.. Es handele sich jetzt nur um zwei Möglich- 
keiten: entweder müsse man die Ausnahmen wieder beseitigen, 
oder die Ausnahme zur Regel erheben. Die richtige Devise sei: 
vestigia nulla retrorsum. Dass der Angeklagte Fragen stellen
	        
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