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die alleinstehende Ueberzeugung von Einzelnen geltend machen
kann, sondern nur eine von allen Interessirten angenommene
Regel. Dadurch wird aber eine massgebende Einwirkung Ein-
zelner auf den Inhalt der Normen nicht ausgeschlossen’. Auch
PucHTA nimmt nicht an, dass die Thätigkeit des Volksgeistes
sıch in allen Volksgenossen gleich deutlich offenbare, sondern
schreibt besonders geeigenschafteten Personen als Trägern des
gemeinsamen Rechtsbewusstseins einen hervorragenden Einfluss
zu, gleichsam die Verkündigung der vom allgemeinen Geiste in
einer für die grosse Menge unfassbaren Weise geschaffenen Sätze®.
Diese Vermittler zwischen dem Volksgeiste und den Einzelnen
drücken aber doch nothwendig dem von ihnen ausgesprochenen
Satze das Siegel ihrer Individualität auf. Auch in den Erzeug-
nissen der Literatur, der Kunst, der Wissenschaft bei einem be-
stimmten Volke und zu einer bestimmten Zeit erkennen wir über-
einstimmende Züge, welche auf die Wirksamkeit eines in ihnen
allen vorhandenen gemeinschaftlichen Elementes hinweisen. Aber
darum halten wir uns noch nicht für berechtigt, etwa die Unter-
schiede in den Wesenseigenthümlichkeiten Schiller’s und Goethe’s
zu leugnen oder es für gleichgültig zu erklären, ob ein Gemälde
von Rembrandt oder von Rubens geschaffen ist. Ebensowenig
aber sind wir befugt, auf dem Gebiete des Rechtes dem Einzelnen
eine bloss empfangende Thätigkeit zuzuschreiben, ihn gleichsam
als ein blosses Sprachrohr aufzufassen, dessen sich der Volksgeist
bedient, um die von ihm geschaffenen Vorschriften erkennbar
hervortreten zu lassen. Dies ist besonders einleuchtend, wenn
wir das, was hier Volksgeist genannt wird, auffassen als eine Be-
zeichnung für die Uebereinstimmung der Anlagen und Eigen-
schaften, die den Einzelnen als Glied eines natürlichen Ganzen
erscheinen lässt. Denn daneben hat jeder Volksangehörige doch
” Vgl..auch Sınrenss, Das praktische Civilrecht I $ 3.
® Vgl. Gewohnheitsrecht II S. 19—20.