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von einer falschen theoretischen Auffassung ausgegangen sein,
so liegt doch der Einwurf nahe, dass ebenso auch alle anderen
Gesetze als ähnliche blosse Ankündigungen der Staatsgewalt an-
gesehen werden könnten. Sie alle würden angewendet werden,
nicht weil sie von den Bürgern anerkannt werden, sondern weil
der Staat die Macht besitzt, ihre Durchführung zu erzwingen.
Die BIERLING’sche Theorie verlöre damit ihre Bedeutung für die
Lösung der Frage, die sie beantworten will.
Mir scheint aber auch seine Auffassung von der Wirksamkeit
der Anerkennung superordinirter Normen nicht unbedenklich zu
sein. Er betont nämlich, dass in der Anerkennung eines Rechts-
satzes höherer Ordnung auch die Anerkennung der darunter sub-
sumirten oder subordinirten Normen enthalten ist (a. a. O. 8. 124,
136, 137, 142). Die Anerkennung einer höheren Norm lässt
aber zunächst nur die Zustimmung zu den daraus abgeleiteten
Normen vermuthen. Dass nicht dennoch im einzelnen Falle das
(Gegentheil stattfinden könne, braucht man desshalb noch nicht
zuzugeben. Fasst man nämlich auch das Zuwiderhandeln gegen
einen im Allgemeinen anerkannten Rechtssatz als Uebertretung
desselben (und nicht als Aufhören der Anerkennung) auf, so. liegt
doch in ihm zugleich auch eine Uebertretung der höheren Norm.
Denn das Unterordnungsverhältniss der verschiedenen Gesetze
bedeutet ja gerade, dass der Gehorsam gegen die höhere noth-
wendig die Pflicht zum Gehorsam gegen die niedere nach sich
zieht. Ersterer wird eben vorzugsweise durch die Erfüllung der
letzteren bewiesen. Die eine Gehorsamspflicht schliesst die an-
dere selbstverständlich in sich. Also enthält auch umgekehrt der
Ungehorsam gegen die niedere einen Mangel an Gehorsam gegen
die höhere. Wer z. B. dem Gesetzgeber die Befugniss zuerkennt,
strafrechtliche Verbote wie das gegen den Diebstahl zu erlassen,
vergeht sich durch einen dennoch ausgeführten Diebstahl nicht
nur gegen das strafrechtliche Verbot, sondern auch gegen die die
Befugniss des Gesetzgebers begründende Norm. Beschränkt die