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Verletzung des ersteren sich auf den einzelnen Fall, so tritt aller-
dings die Uebertretung des höheren Rechtssatzes so sehr in den
Hintergrund, dass wir sie unbeachtet lassen können. Dies ändert
sich aber, wenn gegen die abgeleitete Regel grundsätzlicher Wider-
spruch erhoben wird. Hier liegt allerdings auch eine Rechts-
widrigkeit vor, aber nicht, wie BIERLING (S. 135—36) annimmt,
gegen die untergeordnete Vorschrift, sondern in erster Linie eine
Uebertretung des höheren Grundsatzes, weil der Wille mit sich
selbst in Widerspruch getreten ist. Dass ein solcher Zwiespalt
vorkommen könne, erkennt BIERLING (S. 118) für den Fall an,
dass es sich um Normen zweiter Ordnung handelt. Es liegt aber
kein zwingender Grund vor, die Möglichkeit einer solchen Ge-
staltung hierauf zu beschränken, und dann muss man auch zugeben,
dass ein wirkliches Aufhören der Anerkennung eines subordinirten
Rechtssatzes bei gleichzeitiger Anerkennung des superordinirten
denkbar ist. Daher dürfen — immer unter der Voraussetzung,
dass Rechtssätze nur für die Anerkennenden verbindlich sind —
die Rechtsfolgen, die in der erlassenen Vorschrift niederer Ord-
nung an den Ungehorsam geknüpft sind, hier nicht zur Ausfüh-
rung. gebracht werden. Das Zuwiderhandeln gegen den höheren
Grundsatz, d. h. dessen Nichtanerkennung, ist aber regelmässig
nicht unter Strafe gestellt. Dagegen wird im wirklichen Leben,
abweichend von den Folgerungen, zu denen wir meines Erachtens
vom BIERLINnG’schen Standpunkte aus gelangen müssen, einfach
die untergeordnete Vorschrift dem Widerstrebenden gegenüber
angewendet. Es dürfte somit die Zurückführung der verpflich-
tenden Kraft der Rechtsnormen auf die ihnen zu Theil gewordene
Anerkennung der Staatsangehörigen mit der Natur der in den
bestehenden Gemeinwesen zugelassenen und aufrechterhaltenen
Ordnung in Widerspruch stehen.
Neben dem Wollen der Uebertretung im einzelnen Falle
kann der Wunsch, die Norm möge im Allgemeinen in Geltung
bleiben, sehr wohl bestehen. Insoferne erscheint die Uebertretung