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ganz unabhängig von seinen Vorstellungen und Ueberzeugungen
angewendet. Dies zu rechtfertigen, haben bisher Diejenigen, welche
eine Theorie des Gewohnheitsrechts aufgestellt haben, versucht,
mag auch ihr Gedankengang sie dahin geführt haben, diesem
Punkte in geringerem Grade ihre Aufmerksamkeit zu schenken
oder anzunehmen, dass er durch die Gesammtheit ihrer Aus-
führungen erledigt sei. Der vorhin bemängelte Ausspruch ZITEL-
MANN’s giebt der Vermuthung Raum, dass auch er sich dieser
Anforderung nicht ganz hat entziehen wollen, wenn er auch
grundsätzlich eine Antwort für unmöglich erklärt. Er hat hierin
ja bis zu einem gewissen Grade Recht, aber sein eigener Aus-
gangspunkt scheint mir doch mit Nothwendigkeit weitere Aus-
führungen zu verlangen, als er sie gibt. Die Hypothese bei
dem Urtheil, ein Rechtssatz gilt, ist das Bestehen gewisser that-
sächlicher Verhältnisse. Bei der These liegt es am nächsten, an
das Handeln der Menschen in bestimmter Richtung oder an das
Eintreten einer Verpflichtung zu solchem Handeln zu denken.
In ersterem Sinne wäre unser Urtheil aber unrichtig, da recht-
liche Gesetze nicht wie ein Naturkausalismus wirken, vielmehr
dem Menschen die Möglichkeit des Zuwiderhandelns bleibt; diese
Auffassung ist auch nicht diejenige ZITELMANN’s. Das Eintreten
einer Verpflichtung kann aber gar nicht wie ein Naturereigniss
durch Beobachtung festgestellt werden, weil sie nicht der Welt
der Erscheinungen angehört, sondern wir müssen einen Grund
angeben können, auf dem die Verpflichtung beruht, sonst ist
unsere Behauptung, dass sie bestehe, eben eine blosse Behaup-
tung, die vielleicht der Wirklichkeit entspricht, vielleicht aber
auch nicht. Wenn ein Astronom einem Wilden sagt, dass nicht
die Sonne sich um die Erde, sondern die Erde sich um die
Sonne dreht, so kann er ihm dies nicht durch den Augenschein
beweisen; will er ihn also überzeugen, so muss er ihm die That-
sachen vorführen, die den Schluss rechtfertigen, dass es so ist,
wie er angibt. Und hierzu ist er auch im Stande, wenngleich.