— 19 —
darf nicht erst jedesmal, wenn sie durch keine staatliche An-
ordnung gedeckt sind, der Nachweis begehrt werden, dass sie
die von uns geforderte Voraussetzung erfüllen. Wollen wir hier
also zu sicheren Zuständen kommen, so müssen wir nach einem
äusserlichen Kennzeichen suchen, das uns angibt, ob das Han-
deln des angeblich Berechtigten wirkliche Billigung verdient, .ohne
dass wir uns auf einen Streit über die Vernünftigkeit des von
ihm befolgten Rechtsgedankens und eine Feststellung seiner
inneren Meinung über diesen Punkt einlassen.
Jede positive Rechtsordnung ist nothwendig lückenhaft, da
das Leben des Volkes sich nicht immer in den gleichen Bahnen
bewegt, sondern dauernd neue Beziehungen der Menschen hervor-
bringt, die rechtlicher Gestaltung bedürfen, und da selbst die
schon vorhandenen Verhältnisse erst nach und nach in unseren
Gesichtskreis treten und zu verschiedenen Zeiten mit verschiedenen
Augen angesehen werden. Wo das objektive Recht schweigt,
muss zunächst das Ermessen der Einzelnen die erforderliche
Regelung vornehmen. Dieses kann blosse Willkür sein; falls
aber die sämmtlichen Betheiligten einer Meinung sind, lässt sich
gegen das Ergebniss ihres Beliebens nichts einwenden. Wenn sie
dagegen verschiedener Ansicht sind, so macht sich der schon
mehrfach betonte Umstand geltend, dass das Recht eine Ordnung
für das Zusammenleben der Menschen sein soll. Die Einzelnen
haben daher die sittliche Pflicht, sich nach denjenigen Grund-
sätzen zu richten, welche die nöthigen Eigenschaften besitzen,
um für alle gleichen Verhältnisse eine gleiche Ordnung und
damit die Sicherheit des Verkehrs zu verbürgen. Diese Be-
schaffenheit besitzen nun Rechtsgedanken, die thatsächlich schon
so häufig zur Anwendung gekommen sind, dass man sie als all-
gemein und in dauernder Weise herrschend, als die Regel des
Verkehrs ansehen darf. Sich ihnen anzuschliessen, ist der Ein-
zelne nach den Anforderungen der Vernunft und der Sittlichkeit
verbunden. Nicht weil sie aus einer Volksüberzeugung oder dem