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heitsrecht sich unabhängig von dem Willen des Staates bildet,
so müsse auch die ethische Pflicht zur Befolgung der durch
Uebung festgestellten Sätze entstehen, sobald nur die Erforder-
nisse des Gewohnheitsrechts vorliegen, ohne Rücksicht auf eine
widersprechende Anordnung des Staates. Allein das Gemein-
wesen darf die Bedingungen bestimmen, von deren Vorhanden-
sein es die Verwendung seiner Macht zur Aufrechterhaltung von
Rechtssätzen, dienicht von ihm ausgegangen sind, abhängig macht.
So verfährt es oft in Bezug auf einzelne Sätze des ausländischen
Rechts, wenn auch im Allgemeinen deren Anwendung im Inlande
nach den Regeln des internationalen Privatrechts gestattet wird.
Z. B. können nach Art. 12 des E.-G. zum B.-G.-B. aus einer
im Auslande begangenen unerlaubten Handlung gegen einen
Deutschen nicht weitergehende Ansprüche geltend gemacht werden,
als nach den deutschen Gesetzen begründet sind, d. h. regel-
mässig hat der deutsche Richter seinem Urtheile die Gesetze des
Thatortes zu Grunde zu legen, dieser Satz gilt aber nur dann
uneingeschränkt, wenn der Beklagte kein Deutscher ist, andern-
falls ist er aber nur unter der Voraussetzung massgebend, dass
das ausländische Recht keine grösseren Ansprüche gewährt als
das deutsche. Sind nun die Richter wesentlich Organe des Staates,
so dürfen auch sie nur thätig werden, wenn jene Bedingungen
erfüllt sind. Es können dann zwar durch Uebung Rechtssätze,
die überhaupt nicht erzwingbar sind, wie manche Normen des
Staatsrechts, sich trotz des Fehlens der Bedingungen bilden
(falls man nicht die Entstehung eines Gewohnheitsrechts bei
dieser Sachlage von vorneherein für unmöglich hält). Ebenso
steht es mit denjenigen Rechtssätzen, deren Befolgung seitens
der Einzelnen durch selbständige Gründe gesichert ist. Aber
die Grundsätze des Privatrechts und Strafrechts, überhaupt aller
derjenigen Zweige des Rechts, zu deren Durchführung das ge-
richtliche Verfahren dient, sind mit seltenen Ausnahmen auch
auf dieses angewiesen. Innerhalb des Gemeinwesens fehlt daher
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