Full text: Archiv für öffentliches Recht.Dreizehnter Band. (13)

— 212 — 
den Vorschriften dieser Gebiete die Möglichkeit, wider den Willen 
des Gesetzgebers zu sicherer thatsächlicher Herrschaft zu gelangen, 
das gesetzliche Verbot vermag hier also die Entstehung von Ge- 
wohnheitsrecht zu hindern. Aber freilich ist dies nur richtig bei 
der heutigen Auffassung von der Stellung des Richteramtes. 
Hat der Richter nach dem geltenden Staatsrechte nicht nur das 
Recht anzuwenden, sondern auch zu schaffen ?’, oder ist gar die 
Staatsgewalt verpflichtet, das überhaupt ohne ihre Mitwirkung 
sich bildende Recht zu schützen, so sind die vorstehenden Er- 
wägungen nicht mehr zutreffend. Zu solchen Zeiten gibt es 
jedoch auch keinen Gesetzgeber im heutigen Sinne, oder es wird 
ihm wenigstens nicht einfallen, das Gewohnheitsrecht zu verbieten 
oder an besondere Erfordernisse zu binden. 
Wenn aber selbst die Staatsgewalt ein Verbot des Gewohn- 
heitsrechts ausgesprochen hat, so ist sie doch nicht immer in der 
Lage, es auf die Dauer aufrecht zu erhalten, weil unter Umständen 
das Mittel, dessen sie sich hierzu bedienen muss, eben die Wirk- 
samkeit der Gerichte, versagt, indem die Richter der an ihren 
Willen gestellten Anforderung nicht genügen. Der Gesetzgeber 
besitzt Macht nur durch die Behörden; gehorchen diese selbst. 
ihm nicht, so ist sein Gebot einflusslos auf die thatsächliche Ge- 
staltung der Dinge. Und der Gehorsam der Beamten hört auf, 
wenn hierfür entsprechende Beweggründe vorliegen. Das ist 
gewiss rechtswidrig, aber doch unausbleiblich, wenn die Gesetz- 
gebung in erheblichem Masse hinter den Bedürfnissen des Lebens 
zurückbleibt. Drängt so die Noth dazu, auf das Gewohnheits- 
recht als Rechtsquelle zurückzugreifen, so wird schon eine Theorie 
aufgestellt werden und allgemeinen Anklang finden, die die Hand- 
lungsweise der Richter vor ihrem eigenen Gewissen rechtfertigt. 
Eine Vorschrift dieser Art enthält bekanntlich das Straf- 
37 Gemeint ist hier natürlich die Befugniss zur Erzeugung wirklicher 
(endgültiger), nicht bloss vorläufiger Rechtsätze. (Ueber diese Unterschei- 
dung vgl. den nächsten Abschnitt.)
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.