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gesetzbuch in dem Absatz 1 seines $ 2°°, der bestimmt: „Eine
Handlung kann nur dann mit einer Strafe belegt werden, wenn
diese Strafe gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung be-
gangen wurde.“ Hieraus erhellt aber mit Sicherheit nur, dass
die Aufstellung neuer Strafsatzungen nicht auf dem Wege des
Gewohnheitsrechts geschehen darf, und dass ebensowenig sich
neue Strafschärfungsgründe oder Normen, die eine nach dem
Strafgesetzbuch unzulässige Bestrafung ermöglichen würden (z. B.
es würde die Beihülfe in der Rechtsprechung andauernd der Mit-
thäterschaft in Bezug auf das Strafmass gleichgestellt), durch
Uebung in rechtsverbindlicher Weise ausbilden dürfen, endlich
auch durch sie Strafausschliessungsgründe oder Bedingungen der
Strafbarkeit nicht ausser Geltung gesetzt werden können. Zweifel
bestehen dagegen nach der Richtung, ob auch neue Strafaus-
schliessungsgründe oder neue Bedingungen der Strafbarkeit durch
die Vorschrift des $ 2 mitbetroffen werden, und ob ein dero-
gatorisches Gewohnheitsrecht dem Strafgesetzbuch gegenüber zu
beachten ist. Die für die verneinende Ansicht manchmal ange-
führte Begründung ?®, jedes Strafgesetz lege dem Richter die
Verpflichtung auf, die angedrohte Strafe auszusprechen, und hier-
von könne er auch durch eine entgegengesetzte Uebung nicht
entbunden werden, enthält eine petitio principi. Durch ein neues
Gesetz kann diese Pflicht ja zweifellos beseitigt werden; steht
aber im Allgemeinen das Gewohnheitsrecht in Bezug auf dero-
25 Wbenso das Preuss. Landrecht, Einleitung 88 3, 4, Oesterr. G.-B. $ 10,
Sächs. G.-B. $ 28, Bad. L.-R. 86 Das im Allg. deutschen H.-G.-B. Art. 1
enthaltene Verbot ist in das neue Handelsgesetzbuch nicht wieder aufgenommen.
— Obc.2 quae sit longa cons. 8, 5 schon für das Justinianische Recht nur
die Wirkung gehabt hat, dass das Gewohnheitsrecht stark eingeschränkt
wurde, wie ZorL in den Jahrbüchern für Dogmatik Bd. XIII S. 416ff. an-
nimmt, kann dahingestellt bleiben, da diese Stelle entweder durch fr. 32
S 1 de legibus 1, 3 aufgehoben wird (so vielfach die Theorie) oder ihre
Geltung durch das kanonische Recht beseitigt ist (so Entsch. d. Reichsgerichts
in Civilsachen Bd. V 8. 134/5, vgl. auch Bd. XXXVI S. 179).
2° Sturm, Recht und Rechtsquellen S. 135.