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gatorische Kraft dem Gesetze gleich, und dies ist ja die durchaus
herrschende Ansicht, so muss auch jene Verbindlichkeit des
Richters durch ein entgegenstehendes Gewohnheitsrecht ihre Be-
deutung verlieren. Dass die entsprechende Uebung sich nur
durch Handlungen, die zunächst eine (Gesetzesverletzung in sich
schliessen, ausbilden kann, steht nicht entgegen, denn dies trifft
bei jeder Abschaffung eines Gesetzes durch @ewohnheit, nament-
lich auch auf dem Gebiete des Privatrechts, zu. Dass aber das
in 8 2 ausgesprochene Verbot der Uebung die ihr sonst zu-
kommende Bedeutung nimmt, nämlich durch ihre Vermittelung
einen Rechtssatz entstehen oder untergehen zu lassen, ist ja erst
noch zu beweisen. Auch diejenigen gesetzgeberischen Erwägungen,
die zu dem Satze „nulla poena sine lege“ geführt haben®°, können
nicht für die Entscheidung im verneinenden Sinne verwerthet
werden. Denn die psychologische Zwangstheorie fordert nur
klare Strafandrohungen, um den zur Begehung des Verbrechens
verlockenden Gründen entgegenzuwirken ; für Strafausschliessungs-
gründe, die neben einer bestehenden gesetzlichen Strafandrohung
in Betracht kommen, ist die gleiche Deutlichkeit nicht nothwendig.
Die irrthümliche Annahme ihres Nichtbestehens oder ein Zweifel
in dieser Beziehung hindert die Abschreckung durch die Straf-
gesetze nicht, und andererseits die unbegründete Vermuthung,
es habe sich ein milderndes Gewohnheitsrecht gebildet, kann nicht
leichter entstehen als die gleiche haltlose Annahme bezüglich
eines Gesetzes. Die Lehre vonder Theilung der Gewalten aber
hat überhaupt nur auf dem Gebiete des Strafrechts einen Ein-
fluss geübt und ist auch hier nicht vollständig durchgeführt,
namentlich steht die Vorschrift des $ 2 Abs. 2 über die An-
wendung des mildesten Gesetzes mit ihr in Widerspruch. Am
bedenklichsten ist der aus der heutigen Stellung des Richters
entnommene Einwand, indem gesagt wird, er habe nur das
80 BinpmnG, Handbuch des Strafrechts I S. 19 ff.