— 215 —
(wissenschaftlich erkannte) Recht anzuwenden ®!. Versteht man
dabei freilich unter Recht nur Gesetzesrecht, so ergibt sich die
Fehlsamkeit dieser Ansicht aus der allgemein anerkannten Zu-
lässigkeit des Grewohnheitsrechts; wie weit sie in Strafsachen eine
Einschränkung erleidet, bestimmt eben der $ 2, um dessen Aus-
legung es sich ja gerade handelt. Nimmt man jedoch in jenem
Ausspruche das Wort „Recht“ im weiteren Sinne, so lässt sich
aus ihm eine völlige Ausschliessung des Gewohnheitsrechts oder
(rerichtsgebrauches nicht ableiten, falls man nur rücksichtlich der
Thätigkeit des Richters von der richtigen, im nächsten Abschnitte
näher zu ‚begründenden Auffassung ausgeht. Lassen sich dem-
nach keine überzeugenden Gründe für die Auslegung des & 2
Abs. 1 in einem weiteren Sinne beibringen, so hat man bei dem
Wortlaute stehen zu bleiben, der nur die Aufstellung neuer
Strafsatzungen (oder was dem gleich steht) durch Gewohnheits-
recht verbietet. Zuzugeben ist allerdings, dass der Uebung in
Strafsachen, auch soweit sie vorkommen kann, keine erhebliche
Bedeutung zukommt, da unsere vielgeschäftige (Gesetzgebung es
schwerlich zur Ausbildung von Gewohnheitsrechtssätzen wird
kommen lassen. Sollten sich die Verhältnisse in dieser Beziehung
einmal ändern, so wird höchst wahrscheinlich der ganze 8 2 be-
seitigt werden.
Abgesehen von den besprochenen Verboten oder Einschrän-
kungen des Gewohnheitsrechts enthalten nun aber die in Deutsch-
land geltenden Quellen nur sehr dürftige Bestimmungen über
dessen Erfordernisse. In zahlreichen Stellen des Corpus juris
wird allergings eine longa, inveterata, diuturna consuetudo,
ein longaevus usus und dergl. verlangt®?. Dasselbe ergibt sich
aber auch schon aus dem Begriffe des Gewohnheitsrechts. Dass
fr. 34 D. de legibus 1, 3 nicht, wie früher von Manchen ange-
®! v. Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts $ 16.
%2 Belege bei PucHTa, Gewohnheitsrecht I-S. 92 und bei ScHMIDT, Zur
Lehre vom Gewohnheitsrecht S. 13 Anm. 2.