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mässig halten, dass er unter Aufwendung von Gewalt durchge-
führt werde. Dagegen bedarf es nicht eines hierüber hinaus-
gehenden Glaubens an eine Verpflichtung, ihn zu befolgen, am
wenigsten der Meinung, dass er bereits dem positiven Rechte
angehöre. Diese kann allerdings vorhanden sein, die Handelnden
brauchen jedoch auch nur von der Anschauung auszugehen, dass
der Rechtsgedanke gerecht und zweckentsprechend sei. Dabei
ist wieder möglich, sowohl dass sie meinen, er müsse auch von
anderen Menschen als vernünftig anerkannt und desshalb befolgt
werden, als auch dass sie sich in dieser Beziehung gar keine
Gedanken machen oder selbst annehmen, es lasse sich noch
eine andere Ordnung des Verhältnisses denken, die ebenso gut,
aber nicht besser sei. In diesem Sinne kann man zugeben,
dass zur Entstehung eines Gewohnheitsrechts eine Rechtsüber-
zeugung erforderlich ist‘®. Allein sie ist keine Ueberzeugung
#2 Die Uebungshandlungen können, wie allgemein zugegeben wird, auch
in Unterlassungen bestehen. Hier genügt zur Entstehung eines neuen Rechts-
satzes gleichfalls nicht das einfache Nichthandeln, sondern letzteres muss auf
einer Ueberzeugung des im Texte angegebenen Inhaltes beruhen. Wenn
z. B. in einem Bezirke, wo das Grundeigenthum theilbar ist, Theilungen seit
Jahrzehnten unterlassen wären, so rechtfertigte dies einen Schluss auf die
Geltung eines die Theilung verbietenden Gewohnheitsrechtes nur, wenn zu-
gleich zu vermuthen wäre, dass dies durch die Ueberzeugung, Theilungen
seien rechtlich unzulässig, veranlasst sei. Dagegen ist nicht erforderlich, dass
ein Anspruch auf Theilung versucht und zurückgewiesen ist, vgl. Oberappel-
lationsgericht Lübeck (1846) in SEUFFERT’s Archiv Bd. I No. 308. Anders
liegt die Sache bei einem einfach derogatorischen Gewohnheitsrechte; hier
kommt es nur auf die Thatsache an, dass der Rechtssatz seit sehr langer
Zeit nicht zur Anwendung gekommen ist, obwohl Gelegenheit dazu gewesen
wäre. Eine Entscheidung des Oberappellationsgerichts Rostock (Entscheidungen
herausgegeben von Bucuka und Bunpe I 8.69) fordert dagegen das Be-
stehen einer opinio necessitatis und beschreibt diese als das Vorhandensein
eines mit dem Rechtssatz unvereinbaren neueren Rechtsbedürfnisses. Ist
dabei nicht nur ein unzutreffender Ausdruck gewählt, so müsste die Rechts-
überzeugung sogar wirklichen, nicht bloss vermeintlichen veränderten Ver-
hältnissen entsprechen. Anders die auch sonst interessante Entscheidung
derselben Sammlung Bd. VI S. 182.