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verwiesen sein, dass das positive Recht hier eine Lücke enthält,
und würden ihre Handlungen ebenso gestaltet haben °. Enthält
aber die geltende Rechtsordnung eine, und zwar abweichende,
Vorschrift für das fragliche Lebensverhältniss, so werden durch
die Aufdeckung des Irrthums die Uebenden verpflichtet, in Zu-
kunft ihre Handlungsweise zu ändern, und thun dies im Allge-
meinen auch. Aber es ist möglich, dass diese Entdeckung erst
nach langer Zeit erfolgt, und alsdann wird die Thatsache von
Einfluss, dass der positive Rechtssatz seit ebenso langer Zeit
nicht angewendet und dadurch beseitigt ist; er vermag die ihm
gebührende Herrschaft nicht wiederzuerringen. Dasselbe Ergeb-
niss kann auch eintreten, wenn der wiederaufgefundene positive
Rechtssatz keine Billigung mehr findet, vielmehr den jetzt be-
stehenden Anschauungen über das, was die Gerechtigkeit erfordert,
widerspricht. Hier enthält seine zukünftige Nichtanwendung eine
Rechtswidrigkeit, wird aber vielleicht dennoch zur Thatsache und
behauptet sich. Fasst man die Sachlage auch dahin auf, dass
sich von jetzt an erst ein Gewohnheitsrecht bilde, so braucht
dieses jedenfalls viel kürzere Zeit zu seiner Begründung, als
wenn der Grundsatz vorher noch nicht angewendet wäre °!,
Anders verhält es sich, wenn eine Uebung aus der An-
schauung hervorgegangen ist, eine gewisse Norm sei in der gel-
tenden Rechtsordnung enthalten, und nur auf sie sich stützt.
Erweist diese Ansicht sich als falsch, so hört damit jeder Grund
zur ferneren Fortdauer der Gewohnheit auf, sobald in Wirklich-
keit ein abweichender Rechtssatz vorhanden ist. Denn wäre der
Irrthum früher entdeckt, so wäre damit der einzige Beweggrund,
so zu handeln, wie bisher geschehen ist, hinweggefallen, und es
stellt sich jetzt heraus, dass die bisherige Herrschaft jener Norm
eine bloss zufällige Thatsache war, die keine Gewähr der Dauer
5° Beispiele bei Böutau, Mecklenb. Landrecht I S. 331.
51 Beispiele bei Böhtau a. a. O. 8. 332.