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in sich trug, ihr müsste denn eine solche wegen der ausserordent-
lichen Länge des Zeitraums, während dessen sie bestanden hat,
zugeschrieben werden können. War dagegen weder die voraus-
gesetzte, noch eine andere Norm vorhanden, so bleibt die bis-
herige Uebung unter der Voraussetzung bei Bestand, dass sie
zugleich den Anschauungen über das, was Recht sein sollte, ent-
spricht. In sehr vielen Fällen ist es nun zweifelhaft, ob die
Vorstellung, die Norm gehöre der geltenden Rechtsordnung an,
die alleinige Ursache der Uebung ist, oder ob sie nur als Be-
gleiterscheinung aufgefasst werden muss, während eigentlich mass-
gebend die Ueberzeugung ist, die Norm sei angemessen und
billig. Eine nachträgliche Untersuchung des Sachverhaltes ist
um so schwieriger, als die Uebenden sich vielfach mit dem Glauben
begnügt haben, der Satz gelte, ohne sich über seine innere Be-
gründung eine feste Ansicht zu bilden. Hier bleibt dann meines
Erachtens nichts Anderes übrig, als ein Versuch der Feststellung,
ob sie auch jetzt nach Verdeutlichung des Unterschiedes zwischen
Rechtsgedanken und Rechtssätzen die bisher angewendete Norm
noch billigen. Ist dies der Fall, so darf man davon ausgehen,
dass sie dies auch früher gethan haben würden. Und würde
selbst diese Annahme falsch sein, so würde wenigstens durch die
Ueberzeugung von der Angemessenheit der Norm deren zukünftige
Herrschaft gesichert sein.
Der Behauptung ZITELMANN’s (a. a. OÖ. S. 467), dass das
Gewohnheitsrecht auf einem Rechtsirrthum beruhen könne, ver-
mag ich mich daher nur mit Einschränkungen anzuschliessen.
Sie scheint mir aber auch mit der bei ihm unmittelbar vorher-
gehenden Ausführung über die Thatsache, dass, wo das Gesetz
Gewohnbheitsrecht verbietet, sich solches auch nicht weiter bildet,
nicht recht in Einklang zu stehen. ZITELMANN führt letztere
Erscheinung darauf zurück, dass es von dem Zeitpunkt an, wo
der Widerspruch einer etwa doch entstandenen derogatorischen
Gewohnheit mit dem gesetzlichen Verbote erkannt wird, an der