Full text: Archiv für öffentliches Recht.Dreizehnter Band. (13)

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Staate ertheilte Auftrag gerichtet, da das Gemeinwesen selber, 
die Berechtigung seines Bestehens aus der Vernunft ableitet und 
dementsprechend sich und seinen Organen die Aufgabe setzt, den 
Anforderungen der Vernunft zu genügen. 
Demnach könnte für den Gerichtsgebrauch nur in dem Sinne 
ein Antheil an der Rechtsbildung in Anspruch genommen werden, 
als er neue Rechtsgedanken hervorbringt. Aber hierbei ist der 
Richter nicht als solcher thätig, sondern als Vertreter der Wissen- 
schaft. Das zeigt sich am Deutlichsten daran, dass auch andere 
Mitglieder des Juristenstandes an dieser Arbeit theilnehmen 
können und auch thatsächlich vielfach in hervorragender Weise 
wirksam werden. Indem der Richter sich die ihm von anderer 
Seite dargebotenen Rechtsgedanken aneignet, ändert er nichts an 
ihren Wesenseigenthümlichkeiten, Genau ebenso liegt die Sache, 
wenn er den anzuwendenden Rechtsgedanken selbstschöpferisch 
findet; auch hier muss seine wissenschaftliche und seine urtheilende 
Thätigkeit begrifflich durchaus geschieden werden. Als Urheber 
von Rechtsgedanken sind sowohl Wissenschaft wie Praxis Rechts- 
quelle im materiellen Sinne®®, aber verbindliche Kraft kann ihren 
Erzeugnissen weder die eine noch die andere verschaffen. Auch 
ihre wiederholte Anwendung ändert hieran nichts. Die während 
langer Zeit ergehenden übereinstimmenden Entscheidungen der 
Gerichte haben also nur die Bedeutung einer nicht gering zu 
schätzenden Autorität. Der Richter thut gut, lieber seiner 
eigenen Einsicht zu misstrauen, als von ihnen abzuweichen, solange 
-er nicht durchaus zwingende Gründe hierfür zu haben überzeugt 
ist. Ein solches Verhalten zu beobachten, entspricht der der 
Sicherheit des Rechtsverkehrs geschuldeten Rücksicht °®, 
5% Hierüber vgl. KokLer in den Jahrb. f. Dogmatik Bd. XXV S. 262f. 
5 Vgl. Entscheidungen des Reichsgerichts in Civilsachen Bd. III S. 178. 
Weiter geht ein Erkenntniss des Oberappellationsgerichts München (1872) in 
den Blättern für Rechtsanwendung Bd. 37 S. 346 ff., indem es den Gerichts- 
gebrauch für bindend erklärt, wenn zur Entscheidung einer Frage gar kein 
Gesetz vorhanden ist oder die vorhandenen Gesetze unzureichend sind.
	        
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