Full text: Archiv für öffentliches Recht.Dreizehnter Band. (13)

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Rechtssatze zuwiderhandelt, nur ihn, sein Ungehorsam bildet, 
auch wenn er ein bewusster ist, ohne eine besondere Anordnung 
keine strafbare Handlung. Verletzt dagegen der Richter ein 
Gesetz, so handelt er dem ihm ertheilten Auftrage entgegen, 
und geschieht es absichtlich, so macht er sich einer strafbaren, 
Rechtsbeugung schuldig. Anders ausgedrückt, gegenüber einer 
Nichtbefolgung der staatlichen Anordnung durch den Einzelnen 
findet Zwang nur nach der Richtung hin statt, dass letztere 
dennoch verwirklicht wird, gegenüber der Rechtsbeugung jedoch 
auch zu dem Zwecke, die Beachtung der an den Beamten ge- 
richteten Anweisung zu sichern. Damit steht in Zusammenhang, 
dass die Vernachlässigung eines Rechtssatzes im allgemeinen Ver- 
kehr, weil die Staatsgewalt hiergegen zu einem guten Theile 
machtlos ist, stärkere Wirkungen ausübt, als seine Nichtanwendung 
in der Rechtsprechung. Bei ihr ist sehr viel länger die Aussicht 
vorhanden, dass der Rechtssatz unter dem Einflusse der Amts- 
pflicht des Richters wieder zur Herrschaft gelangt. Daher ist 
die Beseitigung eines Rechtssatzes durch den Gerichtsgebrauch 
schwieriger als durch derogatorisches Gewohnheitsrecht. 
Und dennoch vermag die Rechtsprechung bindende Normen 
zu erzeugen. Zwar die von WÄCHTER (im Archiv für civilistische 
Praxis Bd. XXIII S.432) und auch vom Reichsgerichte vertheidigte 
Meinung, dass sie als echtes Gewohnheitsrecht anzusehen sei, 
wenn sie sich als Ausfluss einer Volksüberzeugung darstelle, ist 
von unserem Standpunkte aus zurückzuweisen. Es dürfte auch 
recht schwierig sein, das Vorhandensein einer selbständigen Rechts- 
anschauung unwiderleglich nachzuweisen und in der geistigen 
Thätigkeit der Urtheilenden das, was wissenschaftliche Anwendung 
des Rechts mit den es beherrschenden Grundsätzen, und das, was 
unmittelbare Ableitung aus der Vorstellung der Gerechtigkeit ist, 
genau zu‘ sondern. Thatsächlich kommt die Sache meistens 
darauf hinaus, dass wenn der spätere Richter die in der bis- 
herigen ‚Rechtsprechung zu Tage getretenen Rechtsgedanken für
	        
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