Full text: Archiv für öffentliches Recht.Dreizehnter Band. (13)

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die Geltung gewisser Rechtssätze abgelehnt wird. Es ist ja doch 
eine unzweifelhafte Thatsache, dass die Rezeption des römischen 
Rechts nicht in allen Theilen Deutschlands in jeder Beziehung 
durchgeführt ist. Konnte seine Geltung aber dadurch verhindert 
werden, dass man an den überlieferten deutschen Rechtssätzen 
festhielt, so wurde derselbe Erfolg auch dann herbeigeführt, wenn 
gleichzeitig mit der Entstehung eines gemeinen Rechtssatzes im 
übrigen Deutschland ein entgegengesetzter Gerichtsgebrauch in 
einem einzelnen (Gebiete sich ausbildete. Dasselbe gilt auch noch, 
wenn er in's Leben zu treten begann, bevor die Herrschaft des 
gemeinen Satzes sicher befestigt war. Will man den partikulären 
Gerichtsgebrauch als gültiges Gewohnheitsrecht nicht anerkennen, 
so müsste in derartigen Fällen folgerichtig auf das früher geltende 
Recht zurückgegangen oder eine Lücke in der Rechtsordnung 
anerkannt werden, die dem Richter gestattete, nach seiner Ueber- 
zeugung zu urtheilen. 
Die schon im vorigen Abschnitte erörterte Frage nach dem 
Einflusse des Irrthums auf die Bildung eines Gewohnheitsrechts 
ist grundsätzlich nach den dort hervorgehobenen Gesichtspunkten 
auch für den Gerichtsgebrauch zu beantworten. Nur ist der 
Richter stets befähigt, die beiden Vorstellungen, der Satz gehöre 
der positiven Rechtsordnung an, und: er entspreche der Idee der 
Gerechtigkeit, genügend auseinanderzuhalten. Die ganze Frage 
spielt aber beim Gerichtsgebrauche nicht dieselbe Rolle wie beim 
eigentlichen Gewohnheitsrechte.e Denn wenn jede längere gleich- 
förmige Rechtsprechung an sich keine verbindliche Kraft besitzt, 
sondern aufhören muss, sobald die bisher befolgte Ansicht als 
unrichtig erkannt wird, so trifft dies bei einem Gerichtsgebrauche, 
der auf einem Irrthum über die Geltung eines Rechtssatzes be- 
ruht, selbstverständlich gleichfalls zu. Meinten die Gerichte also 
fälschlich, dass ein von ihnen geübter Grundsatz in der geltenden 
Rechtsordnung enthalten sei, während der wirklich bestehende 
Rechtssatz einen anderen Inhalt hat, so hat nach Aufdeckung
	        
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