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Erklärung der rechtlichen Natur unseres heutigen Reiches die
historisch feststehende Thatsache sein, dass seit 1815 ın Staats-
schriften, in den Aeusserungen des Volkswillens und insbesondere
in den massgebenden Erklärungen Preussens seit 1848, d. i. seit
Preussen überhaupt positive Stellung zur deutschen Bundesreform
nahm, die oberste Forderung für diese Reform die Umwand-
lung des deutschen Bundes in einen deutschen Staat,
des Staatenbundes in einen Bundesstaat war? —
In diesem Sinne sind im vorliegenden Werke die Grenzen
zwischen Recht, Geschichte und Politik richtig gezogen; darum
dürfen wir es als eine wertvolle Bereicherung der neueren staats-
rechtlichen Litteratur freudig und dankbar begrüssen; wir folgen
auch den historischen und politischen Ausführungen des gelehrten
Verf. gerne, denn nirgends dienen sie zur Verwirrung des gel-
tenden Rechts, sondern stets nur der Erklärung seines Werdens
und der Förderung seiner Weiterbildung. Und dass ein ameri-
kanischer Verf. den Stoff grosser und schwieriger europäischer
Rechtsgebiete mit so vollkommener Sachkenntnis beherrscht und
zu so gewandter Darstellung in fremder Sprache zu gestalten
vermag, verdient unsere Anerkennung, ja Bewunderung. —
Um einiger Einzelpunkte zu gedenken, so hebt Verf. bei der
Darstellung der heutigen französischen Verhältnisse die cha-
rakteristischen Momente des dermaligen Zustandes sehr treffend
hervor: die völlige Machtlosigkeit des Präsidenten, der im Unter-
schied von dem zwar nicht regierenden aber herrschenden Präsi-
denten der nordamerikanischen Union weder regiert noch herrscht,
sondern nur eine staatsrechtliche Puppe ist (IS. 29); die völlige
Abhängigkeit der Minister von dem Willen, ja von den Zufällig-
keiten und Laaunen der Volksvertretung, die die Ministerien wie
einen Spielball hin- und herwirft (bes. S. 117, 122, 130); endlich
die Allgewalt des souveränen Deputierten — „his Majesty the
Deputy“ (S. 132) — gegenüber der Regierung, die sich dann
doch wieder in würdelose Unterwürfigkeit gegenüber dem Wähler