Full text: Archiv für öffentliches Recht.Dreizehnter Band. (13)

— 264 — 
gehaltene Politik dem ungarischen Staate eine grosse Festigkeit 
im Innern und nach aussen giebt, ist richtig; insbesondere erklärt 
sich hieraus auch, dass die „gemeinsamen Angelegenheiten“ mit 
Oesterreich mehr und mehr zur societas leonina geworden sind: 
Oesterreich zahlt etwa 70, Ungarn etwa 30 Prozent der gemein- 
samen Ausgaben und der Wille Ungarns ist in Bezug auf Regelung 
der gemeinsamen Angelegenheiten — „a series of treaties“ nennt 
sie Verf. — der weit stärkere (II S. 167, 169, 173). Selbst die 
Nachgiebigkeit des Kaisers in ungarischen Dingen scheint zeit- 
weilig weiter zu gehen, als das monarchische Prinzip dies gestattet 
und zu ertragen vermag. 
Wie segensvoll dies politische System freilich für die Staats- 
einheit ist, erkennen die Ungarn täglich und stündlich an ihrem 
„gemeinsamen“ Oesterreich. Ein „polyglottes Monstrum“ hat einst 
GERVINUS Oesterreich genannt und die Sache ist seitdem nicht 
besser, sondern schlimmer geworden: in elf Sprachen wird in 
Oesterreich offiziell der Eid geleistet (II S. 72) und die alte 
starke germanische Ostmark verflüchtigt sich mehr und mehr in 
eine lose Konföderation (II S. 90) von selbständigen polnischen, 
czechischen, deutschen Staatsgebilden. Dass die Deutschen an 
diesem Zerfall eines ruhmbedeckten deutschen Staates durch 
innere Zerklüftung, durch Doktrinarismus, Eigensinn und politische 
Einseitigkeit einen Hauptteil der Schuld selbst tragen, und in 
hohem Grade selbst es sich zuzuschreiben haben, wenn die Zügel 
des Regimentes an die Polen und die treibende Kraft an die 
ÜÖzechen übergegangen ist, unterliegt ja leider keinem Zweifel 
und wird auch von unserem Verf. richtig erkannt und stark be- 
tont (II S. 95, 110). Ob das Verhängnis jetzt in elfter Stunde 
noch aufgehalten und abgewendet werden kann, ist zweifelhaft. 
Wenn für die Gesetzgebung mehr und mehr das Prinzip zur 
Herrschaft gelangt, dass der Staat Oesterreich nur die Grund- 
linien zieht, die Ausführungsgesetzgebung aber den „Ländern“ 
überlassen wird und von diesen in ganz verschiedener Weise er-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.