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des Rezesses als Urtheilsgrundlage in Antrag bringe und ver-
anlasse. Darüber ist jedoch zu sagen, dass es thatsächlich nicht
selten vorkommt°®?® — vor Allem im amtsgerichtlichen Prozesse
—, dass die Parteien von dem Vorhandensein eines für den be-
treffenden Streitfall maassgeblichen Rezesses nichts wissen, z. B.
wenn neuangezogene Grundbesitzer in Streit gerathen, oder dass
sie ihn sonst übersehen und nicht genug darüber unterrichtet
sind, welche Punkte durch ihn geordnet sind; dass sie sich darauf
zu beziehen einfach vergessen — auch aus blosser Rechtsunkunde,
oder weil sie glauben, das Gericht selbst müsse ihn doch, wenn’s
darauf ankäme, anwenden. Will man einer dadurch eintretenden
Verkümmerung der Rechte der Parteien vorbeugen, so ist es
durchaus nothwendig, ein Recht des Gerichts anzuerkennen, die
Rezessbestimmungen seiner Entscheidung von Amtswegen zu
(runde legen zu dürfen. Denn selbst, wo der Richter des Amts-
gerichts in der glücklichen Lage ist, nicht unnahbar und stumm
bis zur Entscheidung — wo dann die Aufklärung für die Parteien
zu spät kommt! — auf deren Prozessnöthe und Rechtsungewandt-
heit herabschauen zu müssen, sondern wo er ihnen nach $ 464 der
O.-P.-O. „die sachdienlichen Anträge“ an die Hand geben darf,
ist es für ihn zur Wahrung seiner unparteiischen Haltung von
Werth, auf einen derartig bedeutsamen Rechtsbehelf hinweisen
zu dürfen, weil er es muss, und so jedem Argwohn, dadurch
einseitig einer Partei zu helfen, aus dem Wege gehen zu können.
Es ist das praktisch, wie in der Einleitung schon angedeutet, um
so wichtiger, als eine ganze Anzahl von Civilrichtern in ihrem an
sich sehr anerkennenswerthen Streben nach völliger Objektivität,
im Grunde freilich nur vom Banne der übertriebenen Verhand-
lungsmaxime befangen, selbst jede Anregung zu einer verstän-
digen Handhabung der Parteirechte ablehnen, wie denn auch,
8 Auf der anderen Seite vergleiche man auch das in der Einleitung
über die Gründe Gesagte, die die Richter an dem Zurückgreifen auf die
Rezesse thatsächlich hindern!