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wende sich an die Parteien als Gebot, nicht als Verbot an den
Richter. Das heisst: das Prozessgesetz verlangt von den Parteien
kraft der ihnen in Civilsachen zugeschobenen Selbstverantwortlich-
keit, dass sie selber für die Sammlung des Streitstoffes aufkommen;
daraus folgt aber noch nicht, dass es nicht gewisse Stücke im
streitigen Sachverhalte geben könne, deren Heranziehung und
Verwerthung im Urtheile dem Richter obliege. Und so würde
sich mein Satz am Einde doch noch als mit der Struktur unseres
Civilprozesses selbst durchaus vereinbar erweisen; jedenfalls meine
ich, mit ihm der auch in diesem Punkte verdunkelten oder ver-
kümmerten Eigenart des öffentlichen Rechts durchaus gerecht zu
werden!
Dass Zweifel bleiben, das anzuerkennen, bin ich nicht der
Letzte; und es wird sich auch gewiss empfehlen, den Satz nicht
nur wissenschaftlich nachweisen und billigen zu wollen, sondern
ihn, soweit thunlich, im Prozessgesetze selbst — jetzt oder
später — zum deutlichen Ausdruck zu bringen, etwa als Ergän-
zung des $ 265 der O.-P.-O.?”, und so der wissenschaftlichen Er-
#7 Bei den Berathungen des Ausschusses des deutschen Landwirthschafts-
raths über die Novelle zur Civilprozessordnung habe ich das angeregt und
Beifall dafür gefunden; ein entsprechender Antrag ist beim Reichstage
eingereicht. — Ein entfernt verwandter Gedanke lag dem Vorschlag zu
Grunde, der in Art. INo.1 der damaligen Novelle zum Gerichtsverfassungs-
gesetze gemacht ist, wonach (durch Landesgesetz) „die Entscheidung von
bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten über Rechtsverhältnisse des Nach-
barrechts oder gesetzliche Beschränkungen der Ausübung von Grund-
dienstbarkeiten“ den Agrarbehörden soll übertragen werden können. Die
Begründung sagt u. A. dazu: „Die Verhandlung und Entscheidung der ge-
nannten Prozesse erfordert häufig eine genaue Kenntniss der landwirthschaft-
lichen Fragen im Allgemeinen und der örtlichen Verhältnisse im einzelnen
Felle. Andererseits erscheint ein Verfahren, das nicht ausschliesslich von
den Grundsätzen des Civilprozesses beherrscht wird, mehr geeignet, jene
Streitigkeiten unter Schonung der nachbarlichen Beziehungen zu schlichten.“
Ein böseres Zeugniss ist lange der deutschen Civilprozessordnung nicht aus-
gestellt! Im höchsten Grade bedauerlich ist aber die geplante neue Be-
schränkung, die die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte erfahren soll