— 608 —
fünf Abschnitten die drei treibenden Kräfte oder Strömungen („courants“)
im Leben der ländlichen Bevölkerung: die gute alte Sitte, die Selbsthülfe,
— darunter die Genossenschaftsbewegung und die ländlichen Kreditverhält-
nisse, — und drittens die Förderung durch die Staatsgewalt, in Sonderheit
der dem Franzosen so besonders befremdliche Staatssozialismus und die
innere Kolonisation in Preussen; und geht dann zur Darlegung der land-
wirthschaftlichen Nothlage, ihrer Ursachen und Heilmittel über, um mit
einem kurzen, sehr beherzigenswerthen Nachworte, einer Reihe von „Ex-
kursen* über verschiedene der brennendsten land- und staatswirthschaftlichen
Fragen und einer recht stattlichen Litteraturübersicht abzuschliessen. Von
den Exkursen möchte ich namhaft machen: Vertheilung des Grundeigenthums,
Formulare für Dienstverträge, Einwirkung des code Napoleon auf die Erb-
folge, die Familienfideikommisse, die ländliche Verschuldung, der Währungs-
streit, die Bodenverstaatlichung, die Agrarpolitik der Christlichsozialen u. s. w.
Auf allen Gebieten zeigt sich, wie die Verf., die einzelne Theile selb-
ständig bearbeiteten, es verstanden haben, sich eingehend und an den besten
Quellen zu erkundigen. Für ihre sorgfältigen und, soweit mein Urtheil
reichen darf, durchweg erschöpfenden Darlegungen, ihr volles Verständniss
für die schwierige Lage der deutschen Landwirthschaft kann ihnen diese
nur Dank zollen. Aber sie gewinnen, — worauf es für die Leser dieser
Zeitschrift wohl besonders ankommt, — auch für den deutschen Beamten
Bedeutung, der sich an der Hand einer sehr lesbaren Darstellung ein
Urtheil und eine Uebersicht in diesen Dingen verschaffen will, die so viel-
fach, zumal auf öffentlichrechtlichem Gebiete in seine Kreise hineinspielen
und für Rechtsausgestaltung und Rechtsfindung so oft die grundlegende Vor-
aussetzung bilden.
Soll ich einige mir entgegengetretene Mängel bezeichnen, so vermisse
ich bei der Besprechung des Anerbenrechts (bei dem auch das Schwergewicht
der Gesetzgebung an sich und die interessante kurhessische Verordnung von
1786 nicht ganz zutreffend gewürdigt sind, — vgl. meine Mittheilung in
SCHMOLLER’s Jahrbuche Bd. 19 S.261) eine ausreichende Berücksichtigung
der wichtigen Rolle, die als seine Ergänzung die Lebensversicherung
in sich birgt; so glaube ich, dass die Verf. der deutschen Art, insbesondere
im protestantischen Gebiete, in ihrer im Allgemeinen jeder Aeusserlichkeit
abholden Weise nicht völlig gerecht werden und allzuviel Gewicht auf den
deutschen Fleiss legen, neben dem doch auch der Funke des Genies so
vielfach unserem Volke innewohnt! Irrig ist ihre Meinung, „Gehöfte“ (d.h.
der Inbegriff des zu einem Hofe Gehörigen oder auch Hof selbst, — Vor-
silbe Ge = con im Lateinischen, in „Ganerben“ vollständiger enthalten) be-
zeichne die Hofstätte der Osnabrücker Heuerleute; sowie die gelegentliche
Bezeichnung von Hessen-Nassau als Grossherzogthum.
Wollte ich diesen wenigen Ausstellungen gegenüber die Fülle der
guten Beobachtungen und erfreulich treffenden Urtheile in ihrem Werke,