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mittelbar ein Züchtigungsrecht gegenüber dem Gesinde gewähren,
bilden eine ganz kleine Zahl; die preussische Gesindeordnung
von 1810 gehört nicht zu denselben, sie bestimmt vielmehr in
& 73, dass wenn das Gesinde die Herrschaft durch ungebühr-
liches Betragen zum Zorne reizt und von ihr mit Scheltworten
oder geringen Thätlichkeiten behandelt wird, es hierfür keine ge-
richtliche Genugthuung fordern kann. Nach Ansicht des Reichs-
gerichts®, welche allerdings von den kriminalistischen Schrift-
stellern nicht durchaus getheilt wird’, ist diese Bestimmung durch
das Strafgesetzbuch nicht aufgehoben worden und es wird sich
nun die Frage aufwerfen, welchen Einfluss die angeführte Vor-
schrift des Einführungsgesetzes auf sie ausüben wird? JASTROW
nimmt an, dass die Praxis auch fernerhin sich für die fort-
dauernde Geltung aussprechen werde weil es sich ja nicht sowohl
um ein Züchtigungsrecht als vielmehr um einen Strafausschliessungs-
grund im Sinne der 8$ 199 und 200 St.-G.-B. handle. Auch
das frühere Obertribunal hat ein Züchtigungsrecht auf Grund
derselben stets in Abrede gestellt und nur dem Affekt ent-
schuldigende Wirkung beigelegt ein Standpunkt, welchen auch
das Reichsgericht in der genannten Entscheidung vertritt®,
während die sächsische Gerichtspraxis die Bestimmung der säch-
sischen Gesindeordnung, welche der erwähnten altpreussischen
fast wörtlich nachgebildet ist, im Sinne der Einräumung eines
Ziüchtigungsrechts ausgelegt hat. Bınpına® ist der Meinung,
dass man wo nicht ein Recht leichter Züchtigung ausdrücklich
versagt ist in exorbitanten Fällen, in welchen die Rüge nicht
ausreicht und die sofortige Entlassung nicht thunlich ist etwa
bei grober Beschimpfung des Familienoberhauptes vor den Kindern,
bei grober Unsittlichkeit im Hause ein Züchtigungsrecht, weil
° Entscheidung vom 12. April 1880, Rechtsprechung Bd. I 8. 573.
” Vgl. die Zitate bei Bmmpive, Handbuch des Strafrechts I S. 799 Anm. 34.
® Bınpıne a. a. O. 8. 800.
’A. a. 0. 8.799.