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Reichsgesetzgebung von der Anwendung auf dieses Sonderrecht
nicht ausgeschlossen sein sollen, in Folge der eigenthümlichen
Gestaltung desselben nur in denjenigen Theilen des Reichs-
gebietes voll und ganz zur Entfaltung kommen können, in welchen
die Regelung der zwischen der Dienstherrschaft und dem Gesinde
entstehenden Rechtsverhältnisse entweder lediglich nach den
Grundsätzen des Obligationenrechts oder doch nach einem Sonder-
gesetz beurtheilt wird das sich diesen Grundsätzen durchweg
anschliesst; der thatsächliche Rechtszustand wird hiernach auch
nach Inkrafttreten des neuen Gesetzbuchs nach wie vor in den
verschiedenen Theilen des Reiches ein recht verschiedener sein
und als polare Gegensätze werden in dieser Hinsicht einander
gegenüberstehen einerseits die Reichslande, wo eine besondere
(@Gesindeordnung überhaupt nicht besteht, andererseits die östlichen
Provinzen Preussens, wo die Aufrechterhaltung feudalistischer
Traditionen in Verbindung mit der den Eindruck der Versteine-
rung machenden altpreussischen Gesindeordnung von 1810 es er-
möglicht, dass die Gesindeverhältnisse vielfach noch an die Zeiten
erinnern in welchen das Gesinde aus unfreien Personen bestand.
Allerdings ist ja nach Ansicht der Motive des Einführungs-
gesetzes eine Verschiedenheit des diesbezüglichen Rechtszustandes
in Deutschland gar nicht zu vermeiden; „eine Regelung des Ge-
sinderechts“*, sagen dieselben, „durch Reichsgesetz ist unaus-
führbar; die maassgebenden wirthschaftlichen und sozialen Ver-
hältnisse sind in den einzelnen Staaten Deutschlands vielfach sogar
in den einzelnen Theilen desselben Staates so mannigfaltig, dass
sie der einheitlichen Regelung sich entziehen. Auch in Preussen
ist von der Erlassung einer einheitlichen Gesindeordnung für den
ganzen Umfang der Monarchie abgesehen worden. Bei der Er-
wägung dieser Frage hat man nicht nur das Vorhandensein eines
praktischen Bedürfnisses für eine einheitliche Regelung des Ge-
sindewesens verneint sondern auch anerkannt, dass eine solche
Regelung bei der verschiedenartigen Gestaltung der Verhältnisse