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bekannte Institute des allgemeinen Staatsrechts: Ausführungsverordnung, Noth-
verordnung und gewisse Stücke des Belagerungszustandes — bei welchen es frei-
lich zweifelhaft sein kann, ob der Name Verordnung noch dafür passt. Der Verf.
verfährt mit diesem etwas eigenartig; wir werden noch darauf zurückkommen.
Vor Allem sei nun gesagt, dass uns in diesem Rahmen sehr viel An-
ziehendes und Lehrreiches geboten wird. Das Rechtsinstitut entfaltet den
Reichthum seiner Formen; manchmal etwas breit wird er auseinandergelegt
und nicht ohne Wiederholungen, aber gründlich und sorgfältig. Den Stoff
liefern nicht blosse Lehrmeinungen und Schulbegriffe, sondern das lebendige
Recht soll es sein in enger Anlehnung an die Wirklichkeit der Rechtshand-
habung. Die Aussprüche des Verwaltungsgerichtshofes und anderer Behörden
spielen die Hauptrolle. Aus einer Fülle von Einzelbeispielen erfahren wir,
wie es gemeint ist. Der Verf. begleitet alles mit lebhafter Kritik, meist
einleuchtend und verständig, dazwischen vielleicht allzu spitz und tiftelig. Jeden-
falls hat man etwas davon. In dieser Verwerthung der Praxis möchte ich
das Hauptverdienst des Buches sehen.
In weniger günstigem Lichte zeigt sich sein Verhältniss zur Literatur.
In dieser Beziehung ist der Verf., wie es scheint, nicht genügend ge-
rüstet. Die neuere deutsche Literatur hat er nicht verfolgt, aus der franzö-
sischen führt bis gegen das Ende hin DEJAmME eine Art Alieinherrschaft.
Selbst Rosın, der doch von grundlegender Bedeutung für ihn ist, benützt
Verf. nur in der ursprünglichen Gestalt der ersten Auflage von 1882. Damit
hängt zusammen, dass er sich an die Schriftsteller, die er kennt, desto un-
bedingter anschliesst. So dient z. B. für die Lehre von der Anfechtung
der Verordnungen (S. 337ff.) die Ansicht Bernatzıe’s über Grund und
Wesen der Rechtskraft schlechthin als Richtschnur: Rechtskraft ist nach
Naturgesetzen eine Eigenschaft der Anwendung eines allgemeinen Satzes auf
den Einzelfall, des logischen Schlusses, der Entscheidung. Warum das so
sei, das macht dem Verf. keine Skrupel; jurat in verba magistri. Nun ist ja
Bernarzık’s Buch bekanntlich sehr geistvoll geschrieben; aber so ganz über-
sehen darf man desswegen doch nicht, dass in der Literatur bezüglich des
Wesens und Grundes der Rechtskraft sehr viele Leute anderer Ansicht sind.
Die schwache Seite des Buches wird naturgemäss da am meisten fühlbar,
wo es sich um die allgemeineren wissenschaftlichen Grundlagen handelt und
die unmittelbare Anlehnung an die Praxis versagt. Die Art, wie der Verf.
den Verordnungsbegriff abgränzt, mag das belegen.
Die Verordnung scheidet sich vom Gesetz formell, durch ihren Aus-
gangspunkt: sie ist ein Akt der Staatsgewalt, der „auf dem Verwaltungs-
wege zu Stande kommt“ (S. 8). Von anderen Akten der Verwaltung scheidet
sie sich durch ihren Inhalt: „Die Verordnung ist ein Rechtssatz, objektive
Rechtsnorm“ (8. 28). Damit könnten wir auskommen; denn der Rechtssatz
ist uns eine sehr bestimmte, klar abgegrenzte Erscheinung. Dem Verf. aber
nicht; ihm verflüchtigt sich dieser Begriff zu dem allgemeinen Bilde der