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der „Beherrschung des zu bearbeitenden Stoffes“ zu gewinnen,
kommt er eben dazu, die Gesammtheit des Thatbestandes, soweit
seine nationalen, historischen und wirthschaftlichen Besonder-
heiten eben rechtlich relevant sind, in’s Auge zu fassen.
Hiebei kann er fehlgehen und Gewichtiges übersehen, alles
Menschenwerk ist ja Stückwerk, und eine schlechte juristische
Methode, welche zum Beispiel juristisch und civilistisch ver-
wechselt, wird gewiss ihre „denaturirende Wirkung“ haben. Aber
das beweist sicher nichts gegen eine richtige juristische Methode
und eine solche wird allerdings kein Bedenken tragen dürfen,
„eingelebte, aber im Urkundenmateriale unserer gekünstelten
Verfassungen nicht ausdrücklich kodifizirte Einrichtungen des
öffentlichen Rechtes als vollgiltig zu betrachten “2°,
Es kann sich nämlich ergeben, dass eine erschöpfende
Analyse der vorhandenen öffentlich-rechtlichen Verhältnisse —
und nur eine solche kann ja zu einer klaren Vorstellung dessen,
was ist, gelangen — es nothwendig macht, auch solche thatsäch-
liche Verhältnisse einzubeziehen, welche nicht kodifizirt sind, ja
auf den ersten Blick nicht juristischer, sondern politischer Natur
zu sein scheinen. Dass grundsätzlich nicht blos diejenigen Ver-
hältnisse, welche durch ausdrückliche Norm kodifizirt sind, zu
den rechtlichen Verhältnissen gehören, ergibt sich ja aus der
nicht mehr strittigen Thatsache, dass der Umfang des Rechtes
mit dem Umfange des geschriebenen Rechtes nicht zusammenfällt.
Die Bedeutung des Gewohnheitsrechtes ist aber auf dem
Gebiete des öffentlichen Rechtes eine viel grössere, als auf dem
des Privatrechtes. Denn erstlich ist das öffentliche Recht un-
gleich jünger, als das Privatrecht, das schon an der Grenze des
Alterthums eine klassische Ausbildung erfahren. Sodann ist viel
seltener ein Gesetzgeber daran gegangen, das öffentliche Recht
eines Staates kodifizirend zusammenzufassen, so dass das positive
2° STOERK a. a. O. S. 193.