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Staatsrecht fast überall aus Stück- und Flickwerk zusammen-
gesetzt ist.
Endlich stand der Gesetzgeber des Privatrechts objektiv über
den Verhältnissen, für die er eine Normirung traf; bei den Nor-
mirungen des öffentlichen Rechtes aber war das Subjekt der
Kodifizirung immer zum Theil Objekt der aufzustellenden Norm,
welche in jedem einzelnen Falle mehr oder minder die Macht-
befugnisse des Subjektes der Staatsgewalt einzuschränken oder
doch deren Grenzen abzustecken bestimmt war. Daher kommt
es, dass für die öffentlich-rechtlichen Verhältnisse auch manchmal
bewusst verschwommene Formen kodifizirt wurden?!, deren
Analyse eben nur dann eine Uebereinstimmung mit den thatsäch-
lichen Verhältnissen ergeben kann, wenn sie die individuellen Be-
sonderheiten mit berücksichtigt.
Ganz eigenthümlich ist endlich dem öffentlichen Rechte, dass
sich hier das jus non scriptum nicht, wie auf dem des Privat-
rechtes, deckt mit dem, quod consuetudine tenaciter servata seine
auctoritas erlangt hat, sondern dass jus, wenn auch jus non
scriptum, auch geschaffen wird durch das fait accompli?”. Eine
2ı Es tritt eben „im öffentlichen Rechte zum Theil an die Stelle des
innerlichen Werdens ein äusserliches Machen“ (SToERK $. 109).
22 Vgl. Lmas, Die staatsrechtliche Stellung Bosniens und der Herze-
gowina, im Arch. f. öffentl. Recht Bd. V S. 480ff. In dieser Analyse eines
eigenartigen Thatbestandes habe ich versucht, das, was Rechtens ist, los-
gelöst von dem, was war und sein wird oder vielleicht soll, festzustellen,
wie es LaBanD verlangt, und eben desshalb habe ich dabei das Individuelle
des Thatbestandes aufsuchen und auf seine spezifische Substanz prüfen müssen.
So sehr nun diese Untersuchung von den Prinzipien STOERK’s getragen er-
scheint, so deutlich zeigt sie, dass die publizistische Methode der juristischen
Methode nicht entgegengesetzt ist, sondern nur deren Ueberspannungen.
Gegen meine Ergebnisse, dass auf dem Gebiete Bosniens und der Herze-
gowina der österreichisch-ungarische Monarch die volle, unbeschränkte
suprema potestas besitzt, hat Tezuer (Grünhuts Z. Bd. XVII S. 539) ein-
gewendet, dass dieselben dem Berliner Vertrag und den Verfassungen Oester-
reich-Ungarns widersprechen, weil in dem ersteren „jeder Ausdruck, der auf
eine Abtretung des Gebietes der beiden Provinzen gedeutet werden könnte,