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Abrüstung oder Rüstungsstillstand sind den Völkern nicht
von aussen her, gleichviel unter welcher Form auch immer, zu
oktroyiren, sondern nur denkbar, wenn sie aus den Völkern selbst
heraus angestrebt werden. Einen internationalen Gottesfrieden
vorausgesetzt, würde sich unter den Kulturvölkern eine Ab-
rüstungstendenz bemerkbar machen, wie jetzt eine Rüstungs-
tendenz, die trotz alledem und alledem doch nicht mit nothwendiger
Konsequenz zu dem angestrebten Ziele führt, denn schliesslich
beruht die Ansicht, dass derjenige Staat immer am Besten in
der Lage sein werde, sich und seine Autorität zur Geltung zu
bringen, der und sofern er nur in technisch-militärischer Hinsicht
am Besten vorbereitet ist, mindestens ebenso sehr auf einer rein
mechanischen Auffassung des Völkerlebens, wie man sie der ver-
nunf’rechtlichen Schule und dem russischen Zaren mit seiner Idee
von „Abrüstungsverträgen“ mit gutem Grunde vorwirft.
Die Vorschläge Russlands betreffend Abrüstung oder
Rüstungsstillstand gehen nicht zu weit und ebensowenig, wie
man von anderer Seite her meint, „nicht weit genug“; sie fassen
vielmehr das Problem, welches sie lösen wollen, von einer
falschen Seite her an. Da sie sich aber selbst als unmassgeblich
hinstellen und nebenher doch auch auf die Reform des inter-
nationalen Rechtes hingewiesen wird, so ist zu hoffen, dass man
schliesslich, bei eifrigem Nachdenken, doch noch auf den richtigen
Weg gelangt. Die besten Führerdienste vermag hier die Wissen-
schaft zu leisten, die sich den einschlägigen Fragen gegenüber in
einer verhängnissvollen Rückständigkeit befindet und der nunmehr
eine Perspektive auf eine ausserordentlich segensreiche Thätigkeit
eröffnet ist, wenn sie endlich einmal den Muth findet, mit der
verblendeten Einseitigkeit der historischen Schule zu brechen,
ohne auf die Wege des in Utopien lebenden abstrakten Vernunft-
rechtes zu gerathen.