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D. Vierte Ansicht.
Thronstreitigkeiten ist gemäss Art. 76 Abs. 2 R.-V. der
Bundesrath gütlich auszugleichen oder im Wege der Reichsgesetz-
gebung zu erledigen zuständig.
Diese Ansicht wird in der staatsrechtlichen Litteratur ver-
treten von G. MEYER und HäneL ',
G. MEYER geht sogar so weit zu sagen:
„Zu den Verfassungsstreitigkeiten (im Sinne des Art. 76
Abs. 2) gehören Streitigkeiten zwischen Regierung und Landtag
über Anwendung, Auslegung und Aufhebung von Verfassungs-
bestimmungen, sowie Thronstreitigkeiten und Streitigkeiten
über die Regentschaft... Es können ... . Streitigkeiten
zwischen zwei Prätendenten auch dann zur Entscheidung ge-
langen, wenn einer derselben vom Liandtage des betreffenden
Staates anerkannt ist“?5,
Die Meinung von TuupıcHnum!® scheint im Grossen und
Ganzen die gleiche zu sein.
Gegen diese Ansicht haben sich namentlich ausgesprochen
SEYDEL und H. SCHULZE,
Diese Schriftsteller verneinen die Anwendbarkeit des Art. 76
Abs. 2 auf Thronstreitigkeiten wesentlich desswegen, weil sie
annehmen, das Wort „Verfassungsstreitigkeiten® dürfe aus-
schliesslich nur in dem Sinne gebraucht werden, in dem es ge-
wöhnlich verstanden wird, nämlich nur von einem Streite zwi-
schen Regierung und Volksvertretung. Sie stützen ihre Ansicht
vorwiegend darauf, dass der Art. 76 Abs. 2 auf Art. 1 des
Bundesbeschlusses vom 30. Okt. 183418 berule und an dessen
14 Hänen a. a. OÖ. S. 568.
15 Jehrbuch des Deutschen Staatsrechts $ 212 S. 677 Anm. 9.
18 A, a. O. S. 60f., 110.
17 SeypeL, Kommentar, S. 407; H. Scuuze a.a.0.8.61; ebenso auch
Arnpr a. a. O. Anm. zu Art. 76.
18 Abgedruckt z. B. bei Emminenaus, Corpus juris Germanici, Thl. I
2. Aufl. Jena 1844, S. 806.