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Zur Erreichung dieses Ziels muss das Wesen des inter-
nationalen Privatrechts zergliedert und seine Methode mit den
zu gewinnenden Ergebnissen verknüpft werden.
Die nachstehenden Ausführungen sollen in den Dienst dieser
doppelten Aufgabe gestellt werden.
I.
Das Wesen des internationalen Privatrechts hängt von der
Art der Verhältnisse ab, welche dieses Recht normirt.
Und so muss es dem Beobachter auffallen, dass eine grelle
Dissonanz besteht zwischen dem geltenden Privatrecht und dem
Weltverkehr. Das geltende Privatrecht hat sich in den Nationen
entwickelt unter dem Schutz einer durch Gebietsgrenzen be-
schränkten ‚Staatsgewalt; der Verkehr dagegen ist allgemein-
menschlich und erstreckt sich über alle Grenzen. Der Natur-
trieb, welcher Mann und Frau durch die Ehe (Grundlage des
Familienlebens) vereinigt, bildet, als ein Postulat der für die Er-
haltung der Menschheit nöthigen Geschlechtsselektion, ein all-
gemein-menschliches „Öonnubium“. Und eben so stark zeigt sich,
als Postulat der Kultur, ein zweiter Trieb, und führt zu einer
Weltrechtsgemeinschaft des Handels in weitestem Sinne, zu einem
allgemein-menschlichen „Commercium“®. Diese Triebe beeinträch-
tigen die engeren und „gemütlilicheren“ nationalen Rechtsgemein-
schaften nicht, sie umfassen nur alle diese Gemeinschaften in
einem breiteren Verkehrskreis. Dieses gesellschaftliche Leben der
Menschheit ist nicht entwickelungsfähig, ja nicht menschenwürdig,
ohne Recht, gerade weil es ein gesellschaftliches Leben ist. Die
Verhältnisse zwischen Menschen, welche im allgemein-menschlichen
Verkehr entstehen, insbesondere durch die Ehe und durch den
Handel in weitestem Sinne, müssen desshalb Rechtsverhältnisse
sein. Diesem Gedanken entspricht das internationale Privatrecht.
Der allgemein-menschliche Verkehr bietet uns also national-
privatrechtliche und international-privatrechtliche Verhältnisse,