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Wissenschaft, Gesetzgebung und Jurisprudenz entwickelt sich
allmählich das Bewusstsein, dass die thatsächliche Verbindung
der Menschen durch den Verkehr eine Verkehrsrechtsgemeinschaft
verlangt. Diese Gemeinschaft ist, wie man sagen könnte, das
Schattenbild des Verkehrs, und darum hat sie sich immer gezeigt,
sobald das Licht auf den Verkehr fiel.
Auch das Ziel des internationalen Privatrechts muss jetzt
klar sein. Es kann kein anderes sein als die Ausbildung der
allgemein-menschlichen Gesellschaft, so weit sie ein Privatrecht
verlangt, eine Ausbildung, welche den Menschen in Stand setzen
muss, mit seinen Stammesgenossen in einen friedlichen, menschen-
würdigen Verkehr zu kommen, immer unter dem Schutz des
Rechts.
Zwischen dieser Grundlage als Ausgangspunkt, und diesem
Ziel als Endpunkt, liegt der Weg, die Methode, welche unsere
Wissenschaft durchlaufen muss, um das Ziel zu erreichen, d. i. um
die Rechtsansprüche der internationalen Gesellschaft durch
Rechtsvorschriften völlig zu befriedigen. Welche Macht kann
uns diese Vorschriften geben? Die nationale Gesellschaft erhält
die für sie passenden Rechtsvorschriften von dem Staat, dem
centralen Glied der organisirten Gesellschaft. Wo ist aber das
centrale Glied der internationalen, allgemein-menschlichen Ge-
sellschaft? Eine völlige Organisation dieser Gesellschaft würde
uns zu dem Begriff eines Ueber- oder Weltstaates führen, welcher
die höchste Gewalt als Uebergesetzgeber und Ueberrichter aus-
üben würde. Diesem Begriff entspricht aber keine Wirklichkeit,
selbst keine redliche Zukunftsberechnung. Und doch hat dieser
Begriff Werth, um uns deutlich zu machen, dass die Wirklichkeit
uns nur Vertreter des Ueberstaates bietet und dass diese Ver-
treter nur eine beschränkte oder von Bedingungen abhängige
Macht besitzen.
Vertreter des centralen Gliedes der allgemein-menschlichen
Gesellschaft sind: erstlich jeder einzelne Staat auf seinem Ge-