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Ueber den begrifflichen Unterschied zwischen
Staat und Kommunalverband.
Von
WERNER ROSENBERG, Landrichter in Colmar.
I.
Seit Gründung des Deutschen Reiches wird unter Juristen
und Politikern darüber gestritten, ob das Reich ein Staatenbund
oder ein Bundesstaat, ein zusammengesetzter Staat oder ein
Einheitsstaat sei, ob die Gliedstaaten des Reiches souveräne oder
nichtsouveräne Gemeinwesen, Staaten oder Provinzen seien. Zahl-
reiche Schriftsteller, darunter die glänzendsten Namen, haben die
Lösung dieser Streitfrage versucht; eine allgemein anerkannte und
allgemein befriedigende Antwort ist jedoch bis heute nicht ge-
funden worden. Noch in der neuesten Auflage seines Kommen-
tars zur deutschen Rechtsverfassung hält SEYDEL mit Zähigkeit
die Ansicht fest, dass das Reich ein völkerrechtlicher Bund
souveräner Staaten sei und dass die Souveränetät nicht der Ge-
sammtheit der verbündeten Staaten, sondern jedem einzelnen
derselben zustehe!. Dagegen lehren Zorn und HänEL über-
einstimmend, dass die deutschen Einzelstaaten keine Staaten im
juristischen Sinne seien, da ihnen ein wesentliches Merkmal des
Staatsbegriffs — die Souveränetät — feble?.
1 Max v. Seyper, Kommentar zur Verfassungsurkunde für das Deutsche
Reich. 2. Aufl. 8. 6, 23. Freiburg u. Leipzig 1897.
2 Dr. Puıipp Zorn, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. 2. Aufl.