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das Recht hat, freien Personen mit zwingender Gewalt zu be-
fehlen, die Gemeinde dagegen nicht. Der kleinste und un-
bedeutendste Staat hat diese Rechtsmacht so gut wie der grösste;
der Gemeindeverband hat sie nicht, mag er auch an Grösse und
Ausdehnung für sich allein bedeutender sein, als ein Dutzend
von Staaten zusammengenommen. Dies ist demnach der feste
Punkt zur begrifflichen Unterscheidung zwischen Staat und Ge-
meinde“ ®%.
„Wenn die Gemeinde befugt ist, mit Rechtskraft (Erzwing-
barkeit) zu befehlen und ihre Befehle nöthigen Falls mit Gewalt
durchzuführen, so handelt sie im Namen und Auftrage des
Staates, in Stellvertretung oder kraft Delegation desselben; es
ist nicht ihre Macht, sondern die des Staates, welche sie in Be-
wegung setzt; es ist nicht ihr eigenes Recht, sondern ein fremdes,
welches sie geltend macht“ °®.
Gegen diese Theorie hat Rosın bereits verschiedene, schwer-
wiegende Bedenken geltend gemacht. „Eigene“ Rechte einer
Person sind nicht nur diejenigen Rechte, welche sie durch einen
originären Rechtstitel erwirbt, sondern auch diejenigen Rechte,
welche sie durch einen derivativen Rechtstitel erwirbt. „Eigene“
Rechte einer Person sind ferner nicht nur diejenigen Rechte,
welche ihr nicht entzogen werden können, sondern auch die-
jenigen Rechte, welche vom Staat kraft seines Hoheitsrechts
vernichtet werden können. Entscheidend für den Begriff des
eigenen Rechts ist weder die Art der Entstehung noch die Art
der Beendigung, sondern einzig und allein der Name des be-
rechtigten Subjekts®®. Ist derjenige, welcher ein Recht dusübt,
gleichzeitig Subjekt dieses Rechts, so übt er ein eigenes Recht
54 LaBAND, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. 8. Aufl. 1895. Bd. I
8. 66.
55 LABAND &. 8. O. 2. Aufl. Bd. I S. 66.
56 Rosın, Souveränetät, Staat, Giemeinde, Selbstverwaltung. Kritische
Begriffsstudien in den Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Ver-
waltung und Statistik. Jahrg. 1883 S. 277—280.