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besondere SEYDEL die Ansicht, dass die juristische Person lediglich
eine Fiktion sei’””. SEYDEL nennt dieselbe einen „Rechenpfennig
des Oivilrechts“”® und den „homunculus des rechtswissenschaftlichen
Laboratoriums“’®. Seine Beweisführung gipfelt in dem Satze:
„Persönlichkeit ist identisch mit Willensfähigkeit. Willensfähig
ist nur der Mensch; folglich kann nur der Mensch Person sein“ ®°,
Diese Beweisführung ist unrichtig. Persönlichkeit ist nicht iden-
tisch mit Willensfähigkeit, sondern mit Rechtsfähigkeit. Willens-
fähigkeit und Rechtsfähigkeit sind aber ganz verschiedene Begriffe,
wie schon eine Vergleichung der 8$ 1, 80 und 104 B.G.-B. er-
gibt. Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit Vollendung
der Geburt; die Willensfähigkeit des Menschen beginnt erst mit
Vollendung des siebenten Lebensjahres. Rechtsfähig sind auch
Stiftungen; willensfäbig können nur Menschen sein. Rechtsfähig
aber ist der Staat zweifellos. Er hat nicht nur selbst Rechte,
sondern er ist auch Ursprung und Quelle der ganzen Rechts-
ordnung. Mit Recht hat TREITSCHKE die Behauptung als „un-
geheuerlich“ bezeichnet, dass der einzelne Mensch, weil er zwei
Beine habe, eine juristische Persönlichkeit sein solle, der Staat
dagegen nicht ®!, |
Geht man von der Realität der juristischen Person aus, so
darf als unbestritten gelten, dass Korporation im Rechtssinne
diejenige juristische Person ist, deren Substrat ein Personenverein
ist. Es gibt zwei Arten von Korporationen: Korporationen des
Privatrechts und Korporationen des öffentlichen Rechts. Die
ersteren sind Subjekte von Vermögensrechten; die letzteren sind
Subjekte von öffentlichen Rechten. Die ersteren besitzen Herr-
schaftsrechte über Sachen; die letzteren besitzen Herrschaftsrechte
7 Sgyper, Abhandlungen S, 109.
7% Serpen a. a. O. 8, 111.
7% SeypeL, Kommentar 8. 20.
80 SeypeL, Abhandlungen 8. 109.
81 Henrich v. TREITSCHEE, Politik Bd. I S.:26. Leipzig 1897.