Full text: Archiv für öffentliches Recht.Vierzehnter Band. (14)

-— 369 — 
durch Reichsgesetz geändert werden ®. Einen Beweis hierfür 
liefert Art. 76 Abs. 2 der Reichsverfassung, welcher das Ein- 
greifen der Reichsgewalt in das Gebiet der Landesverfassungen 
ausdrücklich an vier verschiedene Voraussetzungen knüpft: 
1. muss ein Verfassungsstreit in einem Gliedstaat bestehen; 
2. die Landesverfassung darf keine Behörde zur Entscheidung 
von Verfassungsstreitigkeiten bestimmt haben; 
3. einer der streitenden Theile muss die Hülfe des Bundes- 
raths anrufen; 
4. ein Versuch des Bundesraths, die Sache gütlich beizulegen, 
muss gescheitert sein. 
Könnte das Reich nach seinem Ermessen die Landes- 
verfassungen beliebig ändern oder aufheben, so hätten die ein- 
schränkenden Vorschriften des Art. 76 Abs. 2 der Reichsverfassung 
keinen Sinn, In gleicher Weise bestimmt Ziff. II des Versailler 
Schlussprotokolls vom 23. Nov. 1870, dass die Bundeslegislative 
sich nicht auf die Frage erstrecken solle, unter welchen Voraus- 
setzungen Jemand zur Ausübung politischer Rechte in einem 
Staate befugt sein solle. 
Das Oberhaupt des Reiches kann nicht durch Landesgesetz 
geändert werden. Die Rechte desselben beruhen auf der Reichs- 
verfassung, welche durch Landesgesetz weder ganz noch theilweise 
aufgehoben werden kann. Das Staatsoberhaupt in den einzelnen 
Bundesstaaten kann ebenfalls nicht durch Reichsgesetz geändert 
werden. Die Rechte des Staatsoberhaupts bilden in jedem 
Bundesstaate einen Theil der Landesverfassung; für diese Rechte 
gilt dassselbe, was für die Landesverfassung gilt. 
Eine scheinbare Ausnahme von den hier entwickelten Regeln, 
dass Gebiet, Verfassung und Oberhaupt der Einzelstaaten nicht 
durch Reichsgesetz geändert werden dürfen, bildet Elsass-Lothringen. 
— 
8 Verfassung bedeutet hier natürlich nicht Verfassungsurkunde, 
sondern Verfassungsrecht (droit constitutionnel im Gegensatz zum droit 
administratif, vgl. Ducrocg a. a. 0. Bd. I S. 2—3).
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.