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Staatswörterbuch ein vortreffliches und ungemein ergiebiges wissenschaft-
liches Hilfsmittel gefunden. Was der österreichischen Staatsregierung trotz
wiederholter Preisausschreibungen bisber nicht gelungen, ein Bild der ge-
schichtlichen Entwicklung des Österreichischen Rechts in ihren
wesentlichsten Zügen zu erlangen, — ist durch die planmässige Durchführung
des Staatswörterbuches im Ganzen als gelungen zu betrachten. Dass für
diesen grossen Zweck der Rahmen der Einzelbeiträge vielfach weiter ge-
steckt worden ist, als dem Titel des Werkes entspricht, dass zahlreiche
privat- und prozessrechtliche Beiträge das österreichische Staatswörterbuch
stellenweise zu einem Handbuch des gesammten österreichischen Rechts
machen, thut dem Werke keinen Abbruch, wenngleich dieser Umstand den
Standpunkt der Würdigung stellenweise verschiebt, den die Kritik dem Dar-
gebotenen gegenüber einnehmen muss. Suche ich diese nach eingehender
Beschäftigung mit dem gehaltvollen Sammelwerk in eine Formel zu bringen,
die natürlich regelmässig kürzer als allgemeingiltig ist, so erblicke ich den
Schwerpunkt der planmässigen Gesammtarbeit in der Schaffung der ersten
österreichischen Rechtsgeschichte, die zugleich einen weiten Ueberblick über
den ganzen gegenwärtigen Bestand an positiven Rechtseinrichtungen der öster-
reichischen Monarchie eröffnet. Nach beiden Richtungen hin hat es bisher
gefehlt in der geistig und politisch so hoch angeregten Monarchie, deren
Schwierigkeiten im Auslande viel schneller beurtheilt und verurtheilt als
verstanden werden. Zumal nach der ersteren Richtung ist die Summe des
Gebotenen überraschend und es war kein geringer Wagemutb, der die beiden
verdienstvollen Leiter der Kollektivarbeit erfüllte, als sie bei Auftheilung
der Stichworte Rechtsinstitute zur Bearbeitung an den imposanten Stab von
Mitarbeitern verwiesen, die bei aller praktischen Geltung und Tragweite
doch bisher weder rechtsgeschichtlich noch dogmatisch ausreichende Berück-
sichtigung im System der österreichischen Rechtslehre gefunden hatten. Die
Zuversicht auf der einen, das gute Gelingen auf der andern Seite finden
nicht zum wenigsten ihre Erklärung darin, dass nicht nur Befähigung, son-
dern auch die Neigung, sich mit wissenschaftlichen Fragen des öffentlichen
Rechts zu befassen, in ÖOesterreichs Juristenkreisen viel häufiger an-
zutreffen sind, als in Deutschland, besonders in Preussen. Die Rück-
ständigkeit des weitaus grössten Theils der Praktiker in allen etwas tiefer
liegenden Problemen des Staatsrechts und Verwaltungsrechts, des Völker-
rechts und der Staatswissenschaft, des Finanz- und Steuerwesens etc. ist
hier eben die natürliche Folge eines seit Jahrzehnten festgehaltenen Fehlers
im System der nationalen rechtswissenschaftlichen Ausbildung, der nur durch
eine glückliche Kombination der Wirksamkeit eines geschulten Beamtenthums
mit der durch die Forderungen der Selbstverwaltung erzeugten Routine im
wirklichen Staatsleben seine Ausgleichung findet. Mit Hilfe einer Elite von
Hilfskräften war es so den Herausgebern möglich, nach dem Vorbilde des
v. StengeL’schen Wörterbuchs des deutschen Verwaltungsrechts