Full text: Archiv für öffentliches Recht.Vierzehnter Band. (14)

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Grundsätze ohne Rücksicht auf die Genesis der Staaten aufstellen und die 
Vertragsidee als Kriterium der Beurtheilung verwenden“. Wenn er dann 
hinzufügt, „andersartig verlaufende Prozesse sind als nebensächlich anzusehen ; 
sie widersprechen dem angenommenen Massstab für die Beurtheilung gesell- 
schaftlicher und politischer Phänomene“, so fragt man doch, warum man denn 
nun gerade diesen Massstab annehmen muss. Die historische Rechtsschule 
behauptete vielmehr, dass die historisch gewordenen auch die zu Recht be- 
stehenden Erscheinungen seien. Eiben weil Rousseau als „Recht“ nur das 
auffasste, was vor dem Richterstuhl der Vernunft, seiner Vernunft, bestehen 
konnte und daran das positive Recht auf seine Rechtmässigkeit prüfte, 
eröffnete er eine neue Richtung der Politik, die radikale, die die Welt ohne 
Rücksicht auf die bestehenden Verhältnisse auf Grund ihrer theoretischen 
Erwägungen neu aufbauen will. Und da ist es doch nicht so unberechtigt, 
wie LIEPMAnN meint, Rousseau als intellektuellen Urheber der französischen 
Revolution zu bezeichnen. , 
Wenn so das Buch Lieprmann’s zu manchen Einwendungen heraus- 
fordert, so wird doch niemand, der es wirklich aufmerksam liest, dem Verf. 
die Anerkennung versagen können, dass er in ihm, mit grossem Scharfsinn 
und vielem Fleiss durchgeführte, anregende und beachtenswerthe Unter- 
suchungen dargeboten hat. 
Dr. Gottfried Koch. 
Das deutsche Seerecht. Auf@Grund des Kommentars von Dr. W. Lewis 
unter Berücksichtigung ausländischer Seerechte neu bearbeitet von 
Emil Boyens, Rechtsanwalt beim Reichsgericht. Leipzig, Duncker 
& Humblot, 1897. 1. Bd. gr. 8 XX u. 4608. M. 10.—. 
Die stärkere Betonung der politischen Machtstellung Deutschlands im 
Weltverkehr kommt der Pflege des deutschen Seerechts sichtlich zu statten. 
Es hat aufgehört, wie zu Zeiten der Kodifikation des deutschen Handelsrechts 
einen im Wesentlichen dekorativen Theil des Rechtssystems zu bilden; es hat 
seinen Schwerpunkt aus der Peripherie in’s Centrum verlegt, seitdem die 
Gestaltung des Seeverkehrs nicht mehr rechtspolitisch nur einen kleinen 
Bruchtheil des deutschen Volkes beschäftigt. Gleichwohl fehlt es noch an 
angemessenen wissenschaftlichen Verarbeitungen des umfangreichen fachlichen 
Rechtsstoffes, — auch die Literatur eines jeden Rechtsgebietes bedarf des 
weiten „Hinterlandes“ zu ihrer Erstarkung und Entwicklung. Das Werk 
W. Lewis’ fiel in eine Periode erster Ansätze; der erste Kommentar des 
fünften Buches des deutschen Handelsgesetzbuches hatte darum den Werth 
und Reiz der erfolgreichen Aufschliessung einer bisher fast unbetretenen 
Rechtsprovinz. Dass Lewis dabei Theoretiker war, — die Theilnahme an 
den Arbeiten der im Jahre 1871 eingesetzten Liquidationskommission für 
Reedereischäden nimmt dem Einwand nichts an Gewicht, — giebt der Praxis 
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