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Soweit ich sehe, hat sich nur v. Mor (Rstr. S. 236) für
die Ansicht erklärt, dass das hier statuierte Recht auch auf einen
nichtpreussischen Bundesratspräsidenten überginge; sonst wird in
der Litteratur einmütig der entgegengesetzte Standpunkt ver-
treten !®, meines Erachtens mit Recht, obwohl die dafür anzu-
führenden Gründe als vollständig überzeugend nicht bezeichnet
werden können.
Zunächst könnte man gegen v. Mont geltend machen, dass
dem Reichstagspräsidium das Recht, bei Stimmengleichheit im
Reichstage den Ausschlag zu geben, nicht zusteht (vgl. Art. 28
Abs. 1 R.-V.), woraus zu folgern, dass die Reichsverfassung den
Grundsatz nicht kenne, dem Leiter der Verhandlungen als solchem
den Ausschlag bei Stimmengleichheit zuzuweisen; darum reiche
der Hinweis auf die formale Präsidialstellung im Bundesrate nicht
aus, um das in Art. 7 Abs. 3 statuierte Vorzugsrecht der „Prä-
sidialstimme“ zu erklären. Die Schwäche dieses Argumentes ist
nicht zu verkennen, zumal wenn man obendrein bedenkt, dass
beispielsweise in der Erfurter Unionsverfassung vom 26. Mai 1849
die Frage nach dem Recht des Stichentscheides des Präsidiums
für die beiden Häuser des Reichstags einerseits und das Fürsten-
kollegium andererseits auch verschieden geregelt war, indem in
letzterem Preussen und bei seiner Verhinderung am Vorsitz
Bayern den Ausschlag bei Stimmengleichheit geben sollte (s. Er-
furter Unionsverf. v. 26. Mai 1849, Abschn. III Art. III 88 76.
u. Abschn. IV Art. V 8 96); wenn also in diesem für die Reichs-
verfassung in vielen Stücken vorbildlichen Erfurter Entwurfe der
Fall der Stimmengleichheit für die verschiedenen Kollegien ver-
schieden geregelt war, weshalb sollte dies nicht auch in der Reichs-
verfassung der Fall sein können?
Weiterhin könnte man sich für die herrschende Ansicht
darauf berufen, dass der Vorsitz im Bundesrate ein Recht des
16 Zweifelhaft ist die Ausdrucksweise bei KiITTEL a. a. 0. S. 37.